1195 - Der Engelskerker
Deshalb war sie auch so fasziniert von den Boten des Himmels - den Engeln - gewesen.
Sie waren für Michaela immer das Höchste überhaupt gewesen. Schon als Kind hatte sie von ihnen geschwärmt und sich vorgestellt, irgendwann ein Engel zu sein. Hineinzuschweben in das Licht und alle Erniedrigungen einfach nur vergessen.
Soweit war es nicht gekommen, aber sie hatte auch ihren Wunschtraum nicht vergessen. Selbst in einer Welt des Schreckens nicht, in der sie sich so körperlos vorkam.
Immer dann, wenn ihre Gedanken etwas freier waren, hatte sie sich mit diesen wunderbaren Geschöpfen beschäftigt. Es war ihr sogar gelungen, die Widerstände dieser fegefeuerartigen Welt zu überwinden, und irgendwann glaubte sie, dass der Kontakt tatsächlich zu Stande gekommen war.
Engel hatten ihr eine Botschaft übermittelt.
Wann das gewesen war und nach welch einer Zeit, das konnte sie nicht sagen. Doch der Funke steckte in ihr, und die Hoffnung wurde von nun an zu einer Flamme.
In dieser Welt konnte sie nicht beten, aber denken und ihre Gedanken auf die Reise schicken. Und sie waren empfangen worden, sodass die Hoffnung blieb.
Sie wurde stark.
Sie erweiterte sich zu einem Weg.
Und plötzlich hatte sie es geschafft, den Kontakt so herzustellen, dass es möglich war, mit der alten Welt Kontakt aufzunehmen, und das über die Engel.
Nicht mit jedem Menschen, sondern nur mit bestimmten, die berufen waren. Jetzt wusste sie sehr gut, dass man sie nicht im Stich gelassen hatte. Die Engel würden etwas für sie tun. Wenn nicht sie selbst, dann durch Vertreter oder Boten.
Einen Boten hatte sie gesehen, als man ihr den Weg zurück ebnete. Eine Frau mit roten Haaren hatte dort gesessen und sie einfach nur angeschaut.
Genau das war eine der Hoffnungen. Etwas Wunderbares und Vorzügliches. Nicht lange, denn die anderen Mächte wollten ihre Flucht nicht. Sie hatten Michaela wieder zurückgeholt, doch der Keim war gelegt, und den konnten auch sie nicht ersticken.
Ihre Welt war düster und böse. Die schrecklichen Dämonen trieben an ihr vorbei. Eingehüllt in dampfende Schwaden, sie immer mit ihren starren Echsenaugen unter Kontrolle haltend, aber sie schafften es nicht, ihr die Hoffnung aus dem Körper zu brennen.
Und noch etwas hatte sich verändert. Alle ihre Gedanken über ihr Schicksal, die immer wieder durch ihren Kopf glitten und sich auch jetzt wiederholt hatten, waren gehört worden.
Sie wusste das.
Jemand war gekommen.
Michaela sah ihn nicht. Aber sie spürte ihn. Er hielt sich an der Grenze zwischen den Welten auf. Er war so nah und doch so weit entfernt.
Sie strengte sich an, denn was nun folgen sollte, war ungemein wichtig. Er sollte auch etwas über sie wissen, und er sollte seine Bestimmung erfahren.
Reden konnte sie nicht.
Dafür Gedanken schicken.
Und die setzte sie in einen Satz.
Mein Retter ist da!
***
***
Es war nur ein schlichter Satz gewesen, der aber hatte es in sich gehabt. Zudem hatte ich nicht mit einem derartigen Kontakt gerechnet und war von dieser Nachricht so überrascht worden, dass ich einen schnellen Schritt nach hinten ging und dabei gegen Dagmar Hansen prallte.
Sie hatte nichts gespürt und fragte nur: »Was ist denn passiert?«
Ich musste mich erst sammeln und gab die Antwort deshalb nicht sofort. »Es ist ein Kontakt entstanden.«
Ein schnelles Schnappen nach Luft. »Zwischen euch?«
»Ja. Michaela hat sich gemeldet.«
»Was wollte sie?« fragte Harry.
»Genaues kann ich dir nicht sagen. Auf jeden Fall wollte sie den Kontakt. Den hat sie ja bekommen. Es waren keine Schreie mehr, und eines habe ich deutlich gehört«, sagte ich und schaute dabei die Wand der Nische an. »Mein Retter ist da!«
In den folgenden Sekunden entstand eine Schweigepause. Wir schauten uns nur an. Jeder dachte über den Ausspruch nach, und dann war es Harry, der die Schultern hob.
»Retter?«
»Wie ich sagte.«
»Sie meint also, dass du ihr Retter bist. Oder hat sie in der Mehrzahl gesprochen?«
»Nein, das nicht. Sie meinte mich als Retter. Und irgendwie kann ich das auch nachvollziehen. Denn dieser Fall fing ja so an. Ich habe die Schreie gehört, dann erschien Clarissa Mignon und wies mich auf die Person hin. Ich erlebte den Engelskerker hier, und jetzt frage ich mich, mit wem wir es bei Michaela zu tun haben. Ist sie ein Engel oder ist sie keiner?«
Harry Stahl war überfragt, während seine Partnerin schon über einer Antwort nachgrübelte und sie schließlich auch aussprach.
»Sie kann beides
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