1197 - Unhold in der Nacht
es gibt ihn?«
»Natürlich!«, blaffte er. »Das wissen Sie ebenso wie ich.«
»Und Sie haben mit ihm direkt zu tun?«
Für einige Sekunden blieb er stumm. Dann zuckte er mit den Schultern, was ich als Zustimmung ansah. »Wie kam es?«
»Es ist so!« flüsterte er.
»Sie haben ihm Unterschlupf gewährt?«
Hayden wiegte den Kopf. »Nein, nicht so direkt und eigentlich schon. Es ist alles etwas kompliziert. Ich komme aus dieser Lage nicht heraus. Ich muss tun, was er will. Ich habe, wenn Sie so wollen, eine Schuld auf mich geladen.«
»Das hört sich schon interessanter an. Wollen Sie mit mir darüber sprechen?«
Er schaute mich an. Er kämpfte mit sich. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Er wirkte auf mich gequält. Ähnlich wie ein Sünder, der für seine Taten büßen muss.
»Gehen Sie!«, flüsterte er dann. »Gehen Sie, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist. Sie müssen verschwinden. Sie dürfen nicht bleiben, sonst werden Sie das nächste Opfer sein.«
»Meinen Sie?«
»Ja, er holt sie alle.«
Ich blieb gelassen. »Und Sie holt er nicht, Mr. Hayden?«
»Nein.« Der Präparator schüttelte den Kopf. »Mich holt er nicht. Ich bin geschützt und…«
»Wieso sind Sie das?«
Für einen Moment schlug er die Hände vors Gesicht. Er ließ sie auch kaum sinken, als er sprach.
»Es ist für mich hier eine Buße, Mr. Sinclair. Eine verdammt schwere Buße. Ich muss zugeben, dass ich einen Fehler begangen habe. Ich hätte mich weiterhin auf das Ausstopfen heimischer Tiere konzentrieren sollen. Den Wolf zu holen und zu töten, das war ein Fehler.«
»Wenn Sie das sagen!«
»Ja!«, schrie er mich an. »Das sage ich. Das sage ich sogar verdammt laut. Denn dieser Wolf oder alle Wölfe hatten einen Beschützer, auf den sie sich verließen. Ich weiß nicht, woher er kam. Er war plötzlich hier. Er schaute sich hier um. Er sah den Kopf seines Bruders an der Wand, und ich erlebte die fürchterlichste Zeit meines Lebens, als er anfing, sich zu verwandeln. Er wurde zu dem, was es eigentlich nicht geben darf. Er verwandelte sich in eine Bestie, wie man sie nur aus dem Kino oder aus Büchern kennt. Eine Bestie, Sinclair. Eine verdammte und verfluchte Werwolf-Bestie.«
»Sieht nicht gut aus.«
»Da haben Sie Recht.«
»Aber er hat Sie nicht getötet, Mr. Hayden.« Ich hatte eine leichte Verwunderung in den Satz hineingelegt und erhielt auch sehr schnell die Antwort.
»Wie Sie richtig bemerkten, er hat es nicht getan. Aber er hatte dafür seine Gründe. Er wollte mich büßen lassen für das, was ich getan habe. Töten wäre zu einfach gewesen, denn töten wollte er. Er hat es getan, und er hat mich gezwungen, zu seinem Komplizen zu werden.«
Die letzten Worte hatten Ezra Hayden innerlich aufgewühlt. Er zitterte jetzt. »Ja«, sagte er und nickte. »So ist es gewesen. So und nicht anders. Ich bin sein Komplize. Ich weiß Bescheid. Er lässt mich leiden. Ich muss ihn verstecken, verstehen Sie das? Auf diesem Gelände. Es ist ideal, denn es existiert nicht nur eine Ober-, sondern auch eine Unterwelt. Das alles ist seine Welt. Und wenn ihn der Hunger und die Gier überfallen, dann taucht er auf und bringt Menschen um. Damit muss ich leben.« Er redete hastig weiter, und ich ließ ihn sprechen. »Ich habe mich kundig gemacht. Bücher über Lykantrophie gelesen. So konnte ich mich mit den Bestien beschäftigen.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich es bei ihm mit einem echten Werwolf zu tun habe. Wirklich nicht.«
»Nein…?« tat ich erstaunt.
Hayden beugte sich über den Tisch nach vorn. »Ich habe gelesen, dass Menschen, die von Werwölfen angefallen und gebissen werden, sich ebenfalls Stück für Stück in Werwölfe verwandeln. Das ist bei dieser Bestie nicht der Fall. Sie tötet. Sie reißt die Menschen wie ein hungriges Raubtier.«
Ich ließ eine kurze Pause vergehen. »Und sie kann sich verwandeln? Oder liege ich da falsch?«
»Nein, liegen Sie nicht. Sie ist Mensch und Bestie zugleich. Aber sie verwandelt sich nie richtig in einen Menschen zurück. Etwas von dem Wolf bleibt immer. Sei es nur die Veränderung des Gesichts und auch die der Hände und Füße. Er ist ein anderes Phänomen. Aber er muss sich verstecken. Auch bekleidet würde er sich mit seinem Aussehen nicht unter Menschen trauen können.«
Ein langes Geständnis, auf das ich gewartet hatte. Für Hayden hatte es sein müssen. Er war den verdammten Druck losgeworden, unter dem er gelitten hatte.
»Ich habe nichts tun
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