12 - Im Auge des Tigers
Brian ihm mit.
»Morgen ist Freitag. Überlegen Sie es sich noch dieses Wochenende, okay?«
»Von mir aus.« Brian gab nach. Der Ton dieses Wortwechsels war etwas schärfer geworden, als er es beabsichtigt hatte. Es war an der Zeit, den Ball wieder flacher zu halten. Schließlich mochte er Pete. Nur nicht die Ungewiss-heit – und seine Abneigung gegen das, wonach diese Sache aussah. Besonders mit einer Frau als Zielperson. Frauen etwas anzutun, lief seiner Überzeugung zuwider. Oder Kindern – deswegen war sein Bruder ausgerastet, und Brian konnte durchaus nichts Verwerfliches daran finden, es einem Kinderschänder heimzuzahlen. Er fragte sich kurz, ob er an Dominics Stelle genau so gehandelt hätte. Klar, für ein Kind… Ganz sicher war er sich allerdings nicht. Nach dem Dinner erledigten die Zwillinge den Abwasch, dann ließen sie sich mit ihren Drinks vor dem Fernseher im Erd-geschoss nieder und schalteten History Channel ein.
Einen Bundesstaat weiter nördlich verbrachte Jack Ryan jr.
den Abend ganz ähnlich – er trank Cola mit Rum und schaltete zwischen History und History International hin und her, mit einem gelegentlichen Abstecher zu Biogra-phy, wo eine zweistündige Sendung über Josef Stalin lief.
Dieser Typ, dachte der Junior, war ein verdammtes eiskaltes Arschloch. Einen seiner Vertrauten zu zwingen, den Haftbe-fehl für seine eigene Frau zu unterschreiben. Verflucht!
Aber wie konnte dieser körperlich eher unscheinbare Mann eine derartige Kontrolle über Leute ausüben, die ihm gleichgestellt waren? Welche Macht hatte er über andere besessen? Wie war es dazu gekommen? Und wie hatte er 330
diese Macht aufrechterhalten? Jacks eigener Vater war eine Zeit lang sehr mächtig gewesen, aber er hatte niemals Menschen in ähnlicher Weise beherrscht. Wahrscheinlich wäre ihm nie auch nur der Gedanke gekommen – und erst recht nicht der, Menschen quasi zum Spaß umzubringen. Was waren das bloß für Leute? Gab es solche überhaupt noch?
Anzunehmen. Wenn sich etwas auf der Welt niemals änderte, war es die menschliche Natur. Grausamkeit und Bru-talität starben nicht aus. Sie waren heute jedoch nicht mehr so gesellschaftsfähig wie zum Beispiel im Römischen Reich.
Die Gladiatorenspiele hatten das Volk daran gewöhnt, den gewaltsamen Tod als etwas Normales, ja sogar Unterhalt-sames anzusehen. Und die Wahrheit war: Wenn Jack eine Zeitmaschine gehabt hätte, wäre er womöglich – nein, ganz bestimmt sogar – ins Flavische Amphitheater von damals gereist, um sich dieses Schauspiel wenigstens einmal anzusehen. Doch das war menschliche Neugier, keineswegs Blutrünstigkeit. Nur eine Gelegenheit, sich historisches Wissen anzueignen, eine Kultur kennen zu lernen und zu erschließen, die sich von der seinen unterschied, aber dennoch in enger Verbindung mit ihr stand. Womöglich wäre ihm beim Zuschauen sogar das Essen hochgekommen…
vielleicht aber auch nicht. Vielleicht war seine Neugier stärker. Aber verdammt sicher würde er, wenn er jemals eine solche Reise anträte, einen Freund mitnehmen. Zum Beispiel seine Beretta Kaliber .45, mit der Mike Brennan ihm das Schießen beigebracht hatte. Er fragte sich, wie viele andere die Reise auch antreten würden. Bestimmt nicht wenige. Männer. Frauen nicht. Frauen waren sozial völlig anders konditioniert.
Männer wuchsen mit Filmen wie Silverado und Der Soldat James Ryan auf. Männer wollten herausfinden, wie gut sie selbst mit derartigen Herausforderungen klarkämen. Die menschliche Natur wandelte sich also im Grunde tatsächlich nicht. Allerdings neigte die Gesellschaft dazu, die Grausamen zu verteufeln, und da der Mensch ein vernunft-331
begabtes Wesen war, scheuten die meisten Leute davor zurück, etwas zu tun, das sie ins Gefängnis oder in die To-deskammer bringen konnte. Der Mensch war also durchaus fähig, mit der Zeit dazuzulernen, doch die elementaren Triebe blieben wohl immer die gleichen. Aus diesem Grund fütterte man die kleine innere Bestie mit Fantasien, Büchern und Filmen, mit Träumen und Gedanken, die kurz vor dem Einschlafen ins Bewusstsein drangen. Vielleicht hatten die Cops es besser. Sie hatten wenigstens hin und wieder mit Leuten zu tun, an denen sie solche Triebe auslassen konnten. Darin musste eine gewisse Befriedigung liegen – auf diese Weise vermochten sie die innere Bestie zu füttern und zugleich die Gesellschaft zu schützen.
Aber wenn das Tier noch immer im Herzen des Mannes lebte, musste es auch irgendwo auf der Welt
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