12 - Im Auge des Tigers
bisher in einem Gewissenskonflikt, und Sie sagten vorhin, das sei jetzt nicht mehr der Fall. Gilt das noch?«
»Sie haben uns dazu ausgebildet, Personen zu identifizieren, uns ihnen unbemerkt zu nähern und sie zu töten, Pete.
Damit kann ich leben – solange wir nicht irgendetwas völlig Unvertretbares machen sollen.«
Dominic nickte zustimmend, ließ Alexander jedoch nicht aus den Augen.
»Okay, gut. In Texas kursiert ein alter Witz darüber, warum die Anwälte da unten so gut sind. Die Antwort lautet: Es gibt mehr Männer, die es nötig haben, umgebracht zu werden, als Pferde, die es nötig haben, gestohlen zu werden. Tja, denen, die es nötig haben, umgebracht zu werden, können Sie beide vielleicht ein bisschen auf die Sprünge helfen.«
»Verraten Sie uns endlich, für wen genau wir arbeiten sollen?«, fragte Brian.
»Das werden Sie bald erfahren – morgen oder so.«
»Okay, so lange kann ich noch warten«, sagte Brian. Er stellte im Stillen rasch ein paar Überlegungen an. General Terry Broughton könnte im Bilde sein. Dieser Werner beim FBI wusste mit verdammter Sicherheit was, aber diese e-367
hemalige Tabakplantage, auf der ihre Ausbildung stattgefunden hatte, gehörte keiner ihm bekannten Regierungsbehörde. Die CIA besaß die »Farm« bei Yorktown – ebenfalls in Virginia, jedoch 200 Kilometer entfernt. Dieses Anwesen hier hatte seinem Gefühl nach nichts mit der Agency zu tun, auch wenn er dabei womöglich von falschen Vorstellungen ausging. Überhaupt roch es hier für seine Nase nicht nach »Behörde«. Aber so oder so würde er in ein paar Tagen handfeste Informationen bekommen, und so lange musste er sich noch gedulden.
»Was wissen wir über die Typen, die wir heute abgeknallt haben?«
»Nicht viel. Das wird noch etwas Zeit brauchen. Dominic, wie lange dauert es, bis erste Ergebnisse vorliegen?«
»Bis morgen Mittag werden sie eine Menge Informationen zusammen haben. Aber wir verfügen über keinen heißen Draht zum Bureau, es sei denn, Sie wollen, dass ich…«
»Nein, das will ich nicht. Wir werden sie vielleicht dar-
über unterrichten, dass Sie und Brian nicht die neuen Lone Rangers sind, aber es sollten nicht zu viele Leute davon erfahren.«
»Meinen Sie, ich werde mit Gus Werner sprechen müssen?«
»Wahrscheinlich. Er sitzt im Bureau an ausreichend hoher Stelle – er kann sagen, Sie befänden sich in einem ›Spezialeinsatz‹, und würde damit alle weiteren Fragen abwürgen.
Ich könnte mir vorstellen, dass er sich gerade selbst auf die Schulter klopft, weil er uns auf Sie aufmerksam gemacht hat. Sie beide haben sich übrigens verdammt gut geschlagen, nebenbei bemerkt.«
»Wir haben nichts weiter getan als das, wozu wir ausgebildet wurden«, entgegnete der Marine. »Als die ersten Schüsse fielen, hatten wir gerade mal einen Moment Zeit, uns zu berappeln, der Rest lief dann automatisch ab. In der Grundausbildung haben sie uns gesagt, ob man es schafft oder nicht, hängt in den meisten Fällen von ein paar Se-368
kunden Nachdenken ab. Wenn wir schon bei Sam Goody gewesen wären, als die Schießerei losging, und nicht erst ein paar Minuten später, dann wäre vielleicht alles ganz anders gelaufen. Und noch was: Zwei Männer sind ungefähr viermal so effektiv wie einer allein. Es gibt dazu sogar eine Studie. ›Non-lineare taktische Faktoren in Kleingrup-pen-Einsätze‹ lautet der Titel, glaube ich. Steht in der Spezialausbildung Aufklärung auf dem Lehrplan.«
»Ihr Marines könnt tatsächlich lesen, wie?«, bemerkte Dominic, während er nach einer Flasche griff. Er schenkte zwei steife Bourbon ein, reichte ein Glas seinem Bruder und nahm selbst einen tiefen Zug aus dem anderen.
»Der Typ im Sam Goody – der hat mich angelächelt«, sagte Brian nachdenklich. »Ich habe in dem Moment gar nicht drüber nachgedacht. Ich schätze, der hatte keine Angst zu sterben.«
»Das nennt man Märtyrertum. Manche Leute denken tatsächlich so«, erklärte Pete den beiden. »Und was haben Sie getan?«
»Ich habe auf ihn geschossen, vielleicht sechs oder sieben Schuss aus geringer Entfernung…«
»Das waren mehr als zehn, Brüderchen«, korrigierte Dominic ihn. »Plus den letzten in den Hinterkopf.«
»Er bewegte sich noch«, erklärte Brian. »Und ich hatte keine Handschellen dabei, um ihn zu fesseln. Also, ich kann nicht behaupten, dass ich mir darüber Gedanken machen würde.« Im Übrigen wäre der Mann sowieso verblutet. So hat er seine Reise in die nächste Dimension nur
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