12 - Im Auge des Tigers
Kumpel. Sie hatten einander zu Hause besucht, und er selbst unterhielt sich seinerzeit mit dem Burschen, löcherte ihn mit Fragen und hörte sich aufmerksam an, was er zu sagen hatte. Okay, damals war er noch mehr oder weniger ein Kind gewesen, aber er wusste, dass Ali angesichts der Anschläge bestimmt nicht in Jubel ausbrach. Ebenso wenig ließ sich natürlich sein eigener Vater mit Ted Bundy in einen Topf werfen, und doch war Bundy amerikanischer Bürger gewesen, hatte wahrscheinlich sogar sein Wahlrecht ausgeübt. Nicht jeder Bürger eines Landes war zugleich auch dessen Botschafter.
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»Nicht alle lieben uns, junger Mann«, sagte Wills, der Jacks Gesichtsausdruck bemerkte.
»Was haben wir denen jemals getan?«, fragte der Junior.
»Wir sind die Größten und die Reichsten auf der Weltbühne. Unser Wort zählt, selbst wenn wir keine direkten Kommandos geben. Unsere Kultur ist übermächtig, denk nur an Coca-Cola oder den Playboy. So was kann Menschen in ihren religiösen Überzeugungen kränken, und in manchen Teilen der Welt beherrschen religiöse Überzeugungen das gesamte Denken. Diese Leute erkennen unser Prinzip der Religionsfreiheit nicht an, und wenn wir etwas zulassen, das ihren festen Überzeugungen zuwider läuft, machen wir uns ihrer Ansicht nach schuldig.«
»Verteidigen Sie diese Vögel etwa?«, fragte Jack jr.
»Nein, ich erkläre lediglich ihre Denkweise. Etwas zu verstehen heißt nicht, es auch zu rechtfertigen.« So etwas Ähnliches hatte Commander Spock mal gesagt, aber Jack musste die betreffende Episode verpasst haben. »Denken Sie dran: Ihr Job ist es, die Lebensanschauung dieser Leute zu verstehen.«
»Na toll! Deren Lebensanschauung ist beschissen. Das habe ich jetzt verstanden. Und nun muss ich mich um die Zahlen kümmern«, versetzte Jack, schloss das Fenster mit den E-Mail-Transkriptionen und widmete sich stattdessen den finanziellen Transaktionen. »Hey, Uda arbeitet heute.
Hmm, manche Geschäfte tätigt er von zu Hause aus, oder?«
»Ja, stimmt. Das ist der Vorteil an Computern«, bemerkte Wills. »Allerdings verfügt er zu Hause nicht über die gleiche Ausstattung wie im Büro. Und – interessante Kontobe-wegungen?«
»Nur zwei. Überweisungen auf die Bank in Liechtenstein.
Warten Sie mal, ich überprüfe dieses Konto…« Nach ein paar weiteren Mausklicks hatte Ryan das Konto identifiziert. Das Guthaben darauf war nicht besonders umfangreich, für bin Salis Verhältnisse sogar geradezu läppisch.
Nur eine halbe Million Euro, hauptsächlich um Ausgaben 384
zu decken, die per Kreditkarte getätigt wurden – mit seiner eigenen und… anderen…
»Hey, von diesem Konto wird über eine ganze Menge Kreditkarten abgebucht«, sagte er zu Wills.
»Tatsächlich?«
»Ja, es muss schätzungsweise ein Dutzend geben. Nein, es sind… sechzehn insgesamt, plus seine eigene …«
»Erzählen Sie mir mehr über dieses Konto«, forderte Wills. Die Zahl 16 hatte schlagartig sein Interesse geweckt.
»Es ist ein Nummernkonto. Die NSA ist darauf gekommen, weil es in der Software der Bank eine Sicherheitslücke gibt. Das Konto ist nicht dick genug, um besonders wichtig zu sein, aber es ist geheim.«
»Haben Sie die Nummern der Visa-Cards?«
»Die Kartennummern? Klar.« Jack markierte die Nummern, kopierte sie, fügte sie in ein neues Dokument ein und druckte es aus. Dann reichte er Wills die Seite.
»Nein! Sehen Sie sich mal das hier an.« Wills gab Jack ebenfalls ein Blatt.
Jack studierte die Seite. Die Kontonummern darauf kamen ihm auf den ersten Blick bekannt vor. »Was ist das für eine Liste?«
»Die bösen Jungs in Charlottesville hatten alle Visa-Cards und haben damit an Tankstellen überall im Land bezahlt – übrigens war ihr Ausgangspunkt demnach anscheinend New Mexico. Jack, Sie haben gerade eine Verbindung zwischen Uda bin Sali und den gestrigen Ereignissen aufgedeckt. Offenbar hat er die Machenschaften dieser Leute finanziert.«
Jack betrachtete noch einmal die beiden Listen und verglich die Nummern miteinander. Dann schaute er auf.
»Leck mich am Arsch«, flüsterte er.
Wills dachte indessen über die Wunder der modernen Computer- und Kommunikationstechnologie nach. Die Schützen von Charlottesville hatten die Visa-Cards dazu benutzt, Benzin und Lebensmittel zu kaufen, schön und 385
gut, und ihr kleiner Freund bin Sali hatte gerade Geld auf das Konto transferiert, von dem die Rechnungsbeträge abgebucht wurden. Am Montag würde er die Kartenkonten
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