verfügbaren Kommunikationsme-dien war das Internet noch das beste. Die individuellen Accounts waren herrlich anonym, da sie von anonymen Dritten eingerichtet werden konnten, in deren Identität die wahren Endnutzer dann schlüpften. Auf diese Weise exis-tierten sie lediglich in Form von Elektronen oder Photonen, 396
die einander glichen wie die Sandkörner in der Rub al-Khali. Und Tag für Tag gingen Milliarden elektronischer Nachrichten via Internet um die ganze Welt. Allah allein mochte den Überblick behalten, denn Allah kannte das Herz und die Gedanken eines jeden Menschen – eine Fä-
higkeit, die er nicht einmal seinen Gläubigen geschenkt hatte. Und deshalb dachte sich Mohammed, der selten länger als drei Tage am selben Ort blieb, nichts dabei, nach Lust und Laune von seinem Computer Gebrauch zu machen.
Der britische Security Service, dessen Zentrale sich ein Stück flussaufwärts vom Palace of Westminster im Thames House befand, unterhielt hunderttausende von Abhörvor-richtungen, von denen vier auf Uda bin Sali angesetzt waren. Die Gesetze zur Wahrung der Privatsphäre waren in Großbritannien erheblich lockerer als in den Vereinigten Staaten – natürlich nur für die staatlichen Behörden. Unter anderem wurde bin Salis Handy abgehört, was aber selten zu brauchbaren Ergebnissen führte. Am ergiebigsten waren die Internetzugänge in seinem Büro im Finanzdistrikt und in seiner Privatwohnung, denn er misstraute grundsätzlich jeder Art von verbaler Kommunikation und wickelte seine wichtigsten Kontakte zur Außenwelt vorzugsweise per E-Mail ab. Das galt auch für den Kontakt mit seiner Familie –
Briefe, in denen es hauptsächlich darum ging, seinem Vater zu beteuern, dass das Familienvermögen sicher angelegt war. Seltsamerweise machte bin Sali sich nicht einmal die Mühe, ein Verschlüsselungsprogramm zu verwenden.
Vermutlich nahm er an, dass schon der schiere Umfang des Nachrichtenverkehrs im Internet eine behördliche Überwachung unmöglich machte. Außerdem gab es in London massenhaft Leute, die im Kapitalerhaltungs-Business tätig waren – ein hoher Anteil der wertvollsten Immobilien der Stadt befand sich in ausländischer Hand –, und der Geld-handel war etwas, das selbst die meisten Spekulanten 397
langweilig fanden. Aber bin Salis E-Mail-Anschluss zwitscherte nie, ohne ein entsprechendes Echo im Thames House auszulösen, von wo aus die einzelnen Nachrichtenfrag-mente an das GCHQ gingen – das Government Communications Headquarters in Cheltenham, nordwestlich von London. Von dort aus wurde das Datenmaterial wiederum via Satellit nach Fort Belvoir, Virginia, weitergeleitet und von dort via Glasfaserkabel nach Fort Meade, Maryland, wo es hauptsächlich von einem der Superrechner in dem riesigen, seltsam verliesartigen Kellergeschoss des Hauptquartiers geprüft wurde. Der Teil davon, der als wichtig eingestuft wurde, ging anschließend an das CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia – und zwar über das Flachdach eines ganz bestimmten Gebäudes hinweg, in dem die Daten von einem weiteren Computersystem verdaut wurden.
»Was Neues von Mr 56«, bemerkte der Junior, hauptsächlich zu sich selbst. Gemeint war natürlich
[email protected]. Jack musste ein paar Sekunden lang überlegen. Die Nachricht bestand hauptsächlich aus Zahlen.
Eine davon war allerdings die elektronische Adresse einer europäischen Handelsbank. Mr 56 wollte Geld – zumindest hatte es den Anschein –, und nachdem sie inzwischen wussten, dass Mr 56 ein ›Spieler‹ war, würden sie sich auch sein Bankkonto ganz genau ansehen. Das sollte am nächsten Tag geschehen. Vielleicht kämen dabei sogar ein Name und eine Postanschrift heraus, je nachdem, wie bei der betreffenden Bank solche Daten gehandhabt wurden. Das war allerdings eher unwahrscheinlich. Um konkurrenzfähig zu bleiben, tendierten mittlerweile alle internationalen Banken dazu, möglichst deponentenfreundliche Verfahren anzuwenden.
Jack fuhr seinen Rechner herunter. Heute Abend würde er mit Brian und Dominic essen gehen und dabei das Neueste über seine Verwandten erfahren. An der U. S. 29 gab es ein neues Seafood-Restaurant, das er mal ausprobieren wollte. Sein Arbeitstag war zu Ende. Jack machte sich ein 398
paar Notizen für Montagmorgen. Er hatte nicht vor, am Sonntag ins Büro zu kommen, nationaler Notfall hin oder her. Uda bin Sali verdiente eine extrem gründliche Überprüfung. Wie gründlich genau, war Jack noch nicht klar –
allerdings kam ihm