12 - Im Auge des Tigers
allmählich der Verdacht, dass bin Sali demnächst einem oder zwei Menschen begegnen würde, die er, Jack, gut kannte.
»Wie bald?« Diese Frage hatte eigentlich Dominic Caruso gestellt, doch aus Hendleys Mund wirkte sie erheblich nachdrücklicher.
»Also, wir müssen einen Plan entwerfen«, antwortete Sam Granger. Was abstrakt betrachtet nach einer todsicheren Sache ausgesehen hatte, wurde nun, da es um die konkrete Umsetzung ging, immer komplizierter. »Zuerst brauchen wir eine Gruppe von sinnvollen Zielpersonen, und dann einen Plan, wie wir sie, ebenfalls auf sinnvolle Weise, bedienen.«
»Operatives Konzept?«, meldete sich Tom Davis zu Wort.
»Grundsätzlich haben wir uns die Sache folgendermaßen gedacht: Wir gehen streng logisch vor – natürlich nur aus unserer Sicht, für einen Außenstehenden sollte es vollkommen willkürlich erscheinen. Wir knöpfen uns ein Ziel nach dem anderen vor und sorgen auf diese Weise dafür, dass Akteure der Gegenseite wie die Murmeltiere aus ihrem Bau kommen, damit wir sie der Reihe nach ausschalten können.
Theoretisch betrachtet ist die Sache ganz einfach, in der Praxis sieht das allerdings etwas anders aus.« Mit Schachfi-guren konnte man nach Belieben Züge auf dem Spielbrett ausführen, Menschen waren dagegen nicht so einfach dazu zu bringen, auf Befehl die gewünschten Positionen einzu-nehmen – eine Tatsache, die vielen Filmregisseuren offenbar entgangen war. So etwas Banales wie ein verpasster Bus oder ein Verkehrsunfall – oder auch der Drang, mal pinkeln zu gehen – konnte die sorgfältigste Planung zunichte machen. Man durfte nie vergessen, dass die Welt analog funk-399
tionierte und nicht digital. Und ›analog‹ hieß nichts anderes als ›schlampig‹.
»Wollen Sie damit sagen, wir brauchen einen Psychiater?«
Sam Granger schüttelte den Kopf. »In Langley haben sie welche. Viel hat’s ihnen bisher aber nicht gebracht.«
»Sehr wahr!« Davis lachte, realisierte aber schnell, dass humorvolle Bemerkungen hier fehl am Platz waren. »Das Ganze muss schnell gehen«, bemerkte er.
»Ja, je schneller, desto besser«, pflichtete ihm Granger bei.
»Wir dürfen ihnen keine Zeit lassen, nachzudenken und zu reagieren.«
»Am besten wäre es, wenn sie gar nicht erst merken, dass überhaupt etwas im Busch ist«, ergänzte Hendley.
»Leute verschwinden lassen?«
»Wenn zu viele Leute scheinbar an einem plötzlichen Herzinfarkt sterben, schöpft früher oder später jemand Verdacht.«
»Glauben Sie, die haben einen unserer Nachrichtendienste infiltriert?«, überlegte der ehemalige Senator laut. Seine beiden Gesprächspartner zuckten bei der Vorstellung zusammen.
»Kommt drauf an, wie Sie das meinen«, nahm Davis den Gedanken auf. »Ein Maulwurf? Das wäre sehr schwer zu bewerkstelligen. Man müsste den Betreffenden schon ganz gewaltig schmieren, und dafür brauchte man erst mal jemanden, der nur zur CIA gegangen ist, um ordentlich ab-zukassieren. Wobei das allerdings nicht auszuschließen ist«, fügte er nach kurzem Nachdenken hinzu. »Die Russen waren in dieser Hinsicht nie sehr freigiebig – sie konnten ja ohnehin nicht so mit Geld um sich werfen, schon weil ihnen dazu die nötigen Devisen fehlten. Diese Leute dagegen haben mehr davon, als sie ausgeben können. Von daher…
unter Umständen…«
»Aber uns käme das eigentlich sogar zugute«, warf Hendley ein. »Nicht viele bei der CIA wissen überhaupt, dass es uns gibt. Das heißt, wenn diese Leute auf die Idee kommen 400
sollten, dass die CIA Leute eliminiert, wird ihr Maulwurf –
falls denn einer existiert – ihnen versichern, dass dem nicht so ist.«
»Dann würden sie also ihrer eigenen Raffinesse aufsit-zen?«, spekulierte Granger.
»Zunächst mal würden sie doch wohl den Mossad verdächtigen, nicht wahr?«
»Wen sonst?«, erwiderte Davis. »Ihre eigene Ideologie arbeitet gegen sie.« Das war ein Trick, der selten – aber manchmal mit Erfolg – gegen den KGB eingesetzt worden war. Man musste die Gegenseite dazu bringen, sich besonders schlau vorzukommen. Wenn die Israelis deswegen Probleme bekämen, würde das wohl kaum jemandem bei den amerikanischen Nachrichtendiensten schlaflose Nächte bereiten. ›Verbündete‹ hin oder her – die Israelis waren bei ihren amerikanischen Kollegen nicht gerade beliebt. Sogar die Saudi-Spione spielten mit ihnen, weil sich nationale Interessen oft auf die abwegigste Weise überschnitten. Und in dieser Runde würden die Amerikaner sich allein auf die
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