12 - Im Auge des Tigers
Geheimhaltung in ihrer Branche nichts Ungewöhnliches. Jeder kümmerte sich um seine eigenen Angelegenheiten – wenigstens solange man niemandem übel auf die Füße trat. Und das tat der Campus nicht.
Zumindest nicht im Finanzgeschäft.
»Nun«, begann Hendley, »sind wir bereit?«
»Ja«, antwortete Rounds für Granger, der nur knapp nickte und lächelte.
»Wir sind bereit«, verkündete Granger offiziell. »Unsere beiden Jungs haben sich auf eine Weise qualifiziert, mit der wir nie gerechnet hätten.«
»Das kann man wohl sagen«, stimmte Bell zu. »Und der junge Ryan hat für den Anfang ein gutes Ziel identifiziert, diesen bin Sali. Die Ereignisse vom Freitag haben einigen Nachrichtenverkehr ausgelöst. Eine Menge Cheerleader sind aus der Reserve gekommen. Viele davon sind bloß Handlanger und Möchtegerns, aber selbst wenn wir versehentlich einen von denen abservieren, wäre das nicht weiter tragisch. Die ersten vier habe ich bereits auf die Liste gesetzt. Wie sieht es aus, Sam – haben Sie schon einen Plan, wie genau wir verfahren?«
Das war Davis’ Stichwort. »Wir werden auf den Busch klopfen, wie man so schön sagt. Wir eliminieren erst mal einen oder zwei von denen und beobachten, welche Reaktionen das auslöst. Danach richten wir dann unser weiteres Vorgehen. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass Mr bin Sah ein hervorragendes erstes Ziel abgibt. Die Frage ist: Wird seine Eliminierung offen oder verdeckt erfolgen?«
»Erklären«, forderte Hendley.
»Nun ja, eine Möglichkeit wäre, dass bin Sali einfach tot 412
auf der Straße aufgefunden wird. Eine andere wäre, dass er mit dem Geld seines Vaters verschwindet und einen Ab-schiedsbrief hinterlässt, in dem steht, dass er aussteigt und sich zur Ruhe setzt«, erklärte Sam Granger.
»Eine Entführung? Das ist aber ziemlich riskant.« Die Londoner Metropolitan Police konnte bei Entführungen eine Erfolgsquote von nahezu hundert Prozent vorweisen.
Für die erste derartige Operation wäre so etwas ein reichlich gewagtes Spiel.
»Wir könnten einen Schauspieler engagieren, ihn entsprechend verkleiden, in eine Maschine nach New York setzen und dann untertauchen lassen. Währenddessen beseitigen wir bin Salis Leiche und stecken das Geld selbst ein. An wie viel kommt er ran, Rick?«
»Direkt? An mehr als dreihundert Millionen.«
»Das würde unsere Finanzen erheblich aufbessern«, bemerkte Granger. »Und seinen Vater würde es nicht groß jucken, oder?«
»Wie groß ist eigentlich das Vermögen seines Vaters – das gesamte?«, fragte Bell.
»Drei Milliarden und ein paar Zerquetschte. Die dreihundert Millionen wären natürlich ein Verlust, aber ruiniert wäre er dadurch bestimmt nicht. Und in Anbetracht der Meinung, die er von seinem Sohn hat, könnte sich das Ganze sogar noch als gute Tarnung für unsere Operation erweisen.«
»Ich sage nicht, dass wir so vorgehen sollten, aber es wäre eine Möglichkeit«, erklärte Granger abschließend.
Natürlich war schon vorher über diese Möglichkeit gesprochen worden. Sie war zu naheliegend, als dass niemand darauf gekommen wäre. Natürlich hätten sich 300
Millionen Dollar gut auf einem Campus-Konto gemacht, zum Beispiel auf den Bahamas oder in Liechtenstein. Man konnte Geld überall verstecken, wo es Telefonanschlüsse gab – schließlich galt es heutzutage keine Goldbarren mehr beiseite zu schaffen, sondern im Grunde nur Elektronen.
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Hendley war überrascht, dass Granger diese Möglichkeit so direkt zur Sprache gebracht hatte. Vielleicht wollte er sich einen Eindruck von der Einstellung seiner Kollegen verschaffen. Sicher machte die Vorstellung, bin Salis Leben ein Ende zu setzen, keinem von ihnen besonders zu schaffen, aber ihn dabei auch noch zu bestehlen, war eine gänzlich andere Sache. Das menschliche Gewissen war schon ein merkwürdiges Ding.
»Lassen wir das vorläufig mal beiseite. Wie schwierig wird der Anschlag auszuführen sein?«, wollte Hendley wissen.
»Mit dem, was Rick Pasternak uns zur Verfügung gestellt hat? Das reinste Kinderspiel, wenn unsere Leute sich nicht gerade selten dämlich anstellen. Aber selbst wenn sie es vermasseln, wird es schlimmstenfalls wie ein missglückter Überfall aussehen«, erklärte Granger.
»Und wenn unser Mann das Ding fallen lässt?«, fragte Rounds besorgt.
»Der Stift sieht stinknormal aus. Man kann sogar damit schreiben. Sollte irgendein Cop ihn sich tatsächlich näher ansehen, wird er trotzdem nichts entdecken«, versicherte ihnen
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