12 - Im Auge des Tigers
entschieden hatte.
Außerdem musste man da mit seinen Patienten nicht viel reden.
Fürs Erste warteten sie auf die Blut-Toxikologiewerte aus dem Serologielabor. Aus ihnen würde hervorgehen, in welcher Richtung er weitersuchen musste.
Brian und Dominic nahmen sich ein Taxi zurück ins Hotel.
Dort angekommen, fuhr Brian sein Notebook hoch und loggte sich ein. Die kurze E-Mail, die er schrieb, wurde automatisch verschlüsselt und binnen vier Minuten versendet.
Er rechnete damit, dass der Campus in etwa einer Stunde reagieren würde – sicher machte sich dort niemand über diese Angelegenheit in die Hose. Granger machte den Eindruck, als hätte er diesen Job auch selbst erledigen können.
Der Bursche war ganz schön tough für sein Alter. Beim Corps hatte Brian gelernt, dass man die richtig harten Kerle an den Augen erkannte. John Wayne hatte für die USC
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Football gespielt. Audie Murphy, von einem Marine-Corps-Werber abgelehnt – zur ewigen Schande des Corps –, sah aus wie ein Straßenjunge, war aber fähig, im Alleingang mehr als 300 Männer zu töten. Er hatte kalte Augen gehabt, vor allem, wenn er provoziert wurde.
Plötzlich und gänzlich unerwartet überfiel die beiden Carusos ein seltsames Gefühl der Einsamkeit.
Durch sie war ein Mann gestorben, den sie nicht kannten und mit dem keiner von ihnen jemals auch nur ein Wort gewechselt hatte. Im Campus war ihnen alles so logisch und vernünftig erschienen, aber jetzt befanden sie sich an einem Ort, der von dort sowohl geografisch als auch spirituell sehr weit entfernt war. Doch schließlich war der Mann, den sie umgebracht hatten, ein Geldgeber jener Kreaturen gewesen, die bei dem Anschlag in Charlottesville erbar-mungslos Frauen und Kinder getötet hatten, und indem er diesen barbarischen Akt ermöglichte, machte er sich sowohl in rechtlicher wie auch in moralischer Hinsicht schuldig. Es war also nicht so, als wenn sie Mutter Teresas kleinen Bruder auf dem Weg zur Messe abgemurkst hätten.
Brian machte die Sache auch jetzt schwerer zu schaffen als Dominic. Dieser ging an die Minibar, nahm eine Dose Bier heraus und warf sie seinem Bruder zu.
»Ich weiß«, sagte Brian nachdenklich. »Er hatte es verdient. Es ist nur – na ja, wir sind hier nicht in Afghanistan…
verstehst du?«
»Ja, in gewisser Weise ist es umgekehrt – wir haben ihm angetan, was diese Afghanen damals dir antun wollten.
Aber schließlich ist es nicht unsere Schuld, dass er auf der falschen Seite stand. Es ist nicht unsere Schuld, dass er fand, der Anschlag auf das Einkaufszentrum wäre fast so gut wie eine heiße Nummer. Er hatte es verdient. Er hat vielleicht niemanden erschossen, aber immerhin wurden von seinem Geld die Knarren gekauft, oder etwa nicht?« Dominic ar-gumentierte so rational, wie es die Umstände zuließen.
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»Ich will ja auch keine Kerze für ihn anzünden. Es ist nur
– Herrgottnochmal! –, so was sollte in einer zivilisierten Welt einfach nicht vorkommen.«
»Zivilisierte Welt? Dass ich nicht lache, Aldo! Wir haben einen Typen umgelegt, der dringend vor seinen Schöpfer treten musste. Und wenn sein Schöpfer ihm vergibt, ist das seine Sache. Im Übrigen gibt es Leute, die jeden Typen in Uniform für einen bezahlten Killer halten. Du weißt schon, Kindermörder und so.«
»Komm mir doch nicht mit so einer gequirlten Scheiße«, knurrte Brian. »Was mir Angst macht, ist: Was, wenn wir werden wie die ?«
»Erstens können wir jederzeit einen Auftrag ablehnen, nicht wahr? Und zweitens hat man uns zugesagt, dass wir immer erfahren, warum wir jemanden umbringen sollen.
Wir werden nicht wie die, Aldo. So weit lasse ich es nicht kommen. Und du auch nicht. Wie steht’s – auf uns wartet noch eine Menge Arbeit, wie, Bruderherz?«
»Wahrscheinlich hast du Recht.« Brian nahm einen kräftigen Schluck Bier und holte den goldenen Stift aus seiner Jackentasche. Er musste ihn neu laden. Es dauerte keine drei Minuten, dann war die Waffe wieder einsatzbereit.
Brian drehte die Spitze, sodass die Mine zum Vorschein kam, und steckte den Stift in seine Jackentasche zurück.
»Ich kriege mich schon wieder ein, Enzo. Aber es wird ja wohl von niemandem erwartet, dass er sich toll fühlt, nachdem er gerade auf offener Straße jemanden umgebracht hat.
Trotzdem frage ich mich immer noch, ob es wirklich keinen Sinn gehabt hätte, sich den Kerl einfach zu schnappen und ihn zu verhören.«
»In England gelten die gleichen Bürgerrechte wie bei uns.
Wenn bin Sah
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