12 - Im Auge des Tigers
Frage, aber etwas Besseres fiel einem in einer derartigen Situation nun mal nicht ein. Dann schüttelte der Mann – er war Verkäufer in einem Laden für Computerzubehör und auf dem Weg zum nächsten Pub, auf ein Bier und einen Ploughman’s Lunch – den Gestürzten an den Schultern. Er spürte keinerlei Widerstand, so, als drehte man in der Metzgerei ein Stück Fleisch um… Und das machte ihm mehr Angst, als es eine geladene Pistole getan hätte. Hastig wälzte er den Körper herum und tastete nach dem Puls. Da war einer. Das Herz schlug wie verrückt – aber der Mann atmete nicht. Himmel, Arsch und…
Zehn Meter weiter hatte bin Salis Schatten sein Handy hervorgeholt und wählte die Notrufnummer 999. Nur ein paar Straßen entfernt gab es eine Feuerwache, und das Guy’s Hospital lag gleich auf der anderen Seite der Tower Bridge. Wie viele andere Agenten hatte er sich mit seiner Zielperson, auch wenn er sie verabscheute, zu identifizieren begonnen, und sie zusammengekrümmt auf dem Gehsteig liegen zu sehen, ging ihm gewaltig an die Nieren. Was war passiert? Ein Herzinfarkt? Aber er war doch noch so jung…
Brian und Dominic trafen sich in einem Restaurant, das auf einem Hügel oberhalb des Tower lag. Sie suchten sich eine Nische, und kaum hatten sie Platz genommen, kam die Bedienung an ihren Tisch und fragte nach ihren Wünschen.
»Zwei Bier«, verlangte Enzo.
»Wir haben Tetley’s Smooth und John Smith’s.«
»Was trinken Sie denn?«, schoss Brian zurück.
»John Smith’s natürlich.«
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»Dann bringen Sie uns zwei davon«, bestellte Dominic und nahm die Speisekarte entgegen.
»Ich weiß nicht recht, ob ich Lust auf Essen habe, aber ein Bier tut jetzt bestimmt gut.« Brians Hände zitterten kaum merklich, als er nach der Speisekarte griff.
»Und vielleicht eine Zigarette.« Dominic lachte leise. Wie die meisten Kids hatten sie auf der Highschool mal ver-suchsweise geraucht, es aber beide wieder sein gelassen, bevor es zur Sucht wurde. Außerdem war der hölzerne Zigarettenautomat in der Ecke für Ausländer sicher viel zu kompliziert zu bedienen.
»Hm, klar.« Brian verwarf den Gedanken.
Gerade als das Bier kam, hörten sie drei Straßen weiter das dissonante Sirenengeheul eines Rettungswagens.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Enzo seinen Bruder.
»Schon ein bisschen komisch.«
»Denk an letzten Freitag«, riet der FBI-Agent dem Marine.
»Ich habe nicht gesagt, dass ich es bereue, Blödmann. So was geht einem halt irgendwie unter die Haut. Hast du den Schatten abgelenkt?«
»Ja, er hat mir direkt in die Augen gesehen, während du die Zielperson in den Hintern gepiekst hast. Der Typ ist vielleicht noch fünf Meter weit gekommen, bevor er zusammenbrach. Ich habe keine Reaktion auf den Stich bemerkt. Du?«
Brian schüttelte den Kopf. »Nicht mal ein ›Autsch‹.« Er nahm einen Schluck. »Echt gut, das Bier.«
»Ja, geschüttelt, nicht gerührt, Null-null-sieben.«
Brian lachte wider Willen laut los. »Du Aas!«
»Tja, irgendwie sind wir doch jetzt in dieser Branche gelandet, nicht wahr?«
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Kapitel 18
Von der Leine
Jack jr. machte sich über Kaffee und Donuts her, während er seinen Computer hochfuhr, um sich als Erstes den Nachrichtenverkehr von der CIA an die NSA vorzunehmen.
Ganz oben auf dem elektronischen Stapel fand er eine Nachricht mit FLASH-Priorität – einen Hinweis an die NSA, ganz besonders auf ›nachweisliche Komplizen‹ Uda bin Salis zu achten, der, wie die Engländer laut CIA gemeldet hatten, im Zentrum von London anscheinend infolge eines Herzinfarkts tot umgefallen war. Die FLASH-Meldung des Security Service, die derjenigen von der CIA beigefügt war, enthielt die nüchtern abgefasste Information, bin Sah sei auf der Straße vor den Augen ihres Observie-rungsbeamten zusammengebrochen und mit einem Krankenwagen ins Guy’s Hospital gebracht worden, wo er ›nicht mehr reanimiert werden konnten Die Leiche wurde gerade obduziert, hieß es vom MI5.
In London rief Special Branch Detective Bert Willow in Rosalie Parkers Wohnung an.
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»Hallo.« Sie hatte eine sympathische und melodische Stimme.
»Rosalie, hier spricht Detective Willow. Wir müssten Sie hier in Scotland Yard schnellstmöglich sprechen.«
»Ich fürchte, das geht jetzt nicht, Bert. Ich erwarte jeden Moment einen Kunden. Es wird etwa zwei Stunden dauern.
Reicht es, wenn ich danach gleich vorbeikomme?«
Der Detective am anderen Ende der Leitung wollte widersprechen, aber – nein, so
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