12 - Im Auge des Tigers
einen Anwalt verlangt hätte – und das hat man ihm garantiert eingeschärft –, hätten ihn die Cops nicht mal fragen dürfen, wie spät es ist. Genau wie bei uns zu Hause. So jemand braucht nur dazusitzen und zu grinsen und seine Klappe zu halten. Das ist einer der Nachteile der 458
Zivilisation. Okay, bei Kriminellen mag das ja durchaus sinnvoll sein – bei den meisten jedenfalls –, aber diese Typen sind nicht einfach kriminell. So was ist schon eine Form der Kriegsführung, das hat nichts mehr mit gewöhnlicher Kriminalität zu tun. Und genau da liegt das Problem: Einem Kerl, der darauf aus ist, in Erfüllung seiner Pflicht zu sterben, kann man schwerlich drohen. Man kann nur verhindern, dass er irgendwas anrichtet, und das verhindert man bei so jemandem nur auf eine Art: Indem man dafür sorgt, dass sein Herz aufhört zu schlagen.«
Ein weiterer Schluck Bier. »Schon gut, Enzo. Ich sag ja gar nichts mehr. Wer wohl unser nächstes Opfer ist?«
»Lass ihnen erst mal eine Stunde Zeit zum Überlegen.
Wie war’s mit einem kleinen Spaziergang?«
»Könnte bestimmt nicht schaden.« Brian stand auf, und eine Minute später waren sie wieder auf der Straße.
Der British-Telecom-Van fuhr gerade weg – wirklich eine allzu durchsichtige Tarnung. Dominic fragte sich, ob die Engländer ein Schwarzsack-Team in das Haus schicken würden, um es zu durchsuchen, aber der Aston Martin lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Der schwarze Sportwagen stand noch immer an seinem Platz, und er sah einfach geil aus.
»Den würdest du wohl gern bei der Nachlassversteige-rung abstauben?«, fragte Brian.
»Zu Hause kann man damit doch nichts anfangen«, bemerkte Dominic. »Die Lenkung ist auf der falschen Seite.«
Aber sein Bruder hatte Recht. Es war schade um den Wagen. Das Haus am Berkeley Square war auch nicht übel, aber zu klein. Man konnte nicht mehr damit anfangen, als die Kinder auf dem Rasen rumkrabbeln zu lassen und etwas frische Luft zu schnappen. Wahrscheinlich würde auch das Haus verkauft werden, und zwar bestimmt für einen gesalzenen Preis.
Es gab sicher eine Menge Anwälte, die alles regelten und sich ein ordentliches Stück vom Kuchen abschneiden wür-459
den, bevor sie den Rest des Nachlasses den Hinterbliebenen dieser Schlange überstellten. »Schon Hunger?«
»Ich könnte was zu essen vertragen«, gab Brian zu. Also gingen sie weiter, in Richtung Piccadilly, bis sie ein Lokal fanden, das sich Pret a Manger nannte und in dem es Sandwiches und Getränke gab. Nach 40 Minuten kehrten die beiden in ihr Hotel zurück, und Brian schaltete seinen Computer wieder ein.
»Mission abgeschlossen. Von lokalen Quellen bestätigt.
Mission sauber«, lautete die Nachricht vom Campus. Und weiter hieß es: »Plätze gebucht für Flug BA0943 Abflug Heathrow morgen 07:55 Ankunft München 10:45. Tickets am Schalter.« Es folgte eine Seite mit Details.
»Okay, wir haben einen neuen Auftrag«, verkündete Brian.
»Schon?« Dominic war überrascht, wie zügig auf dem Campus gearbeitet wurde.
Brian wunderte das nicht. »Ich schätze, sie bezahlen uns nicht dafür, Touristen zu spielen, Brüderchen.«
»Ich finde, wir müssten die Zwillinge anschließend schneller rausholen«, bemerkte Tom Davis.
»Wenn sie sich verdeckt am Ort des Geschehens aufhalten, ist das nicht nötig«, gab Hendley zurück.
»Für den Fall, dass irgendjemand sie während der Tat beobachtet, wäre es besser, sie würden danach so schnell wie möglich verschwinden. Einen Geist kann man nicht verhö-
ren«, wandte Davis ein. »Wenn die Ermittler nichts haben, dem sie nachgehen können, kommen sie nicht so leicht auf unliebsame Gedanken. Sie können sich natürlich die Passa-gierliste eines Fluges vornehmen, aber um damit was anfangen zu können, brauchten sie erst mal einen Namen als Anhaltspunkt. Und wenn sich ein Gesicht, das möglicherweise gesehen wurde, einfach in Luft auflöst, dann haben sie gar nix in der Hand. In dem Fall gehen sie aller Wahrscheinlichkeit nach davon aus, dass auf ihren Augenzeugen 460
kein Verlass ist, und vergessen die Sache.« Es ist eine wenig bekannte Tatsache, dass Augenzeugen in der Strafverfolgung als am wenigsten verlässliche Beweisform gelten. Ihre Schilderungen sind zu subjektiv gefärbt und ihre Erinnerungen zu ungenau, als dass man ihnen vor Gericht großes Gewicht beimessen würde.
»Und?«, fragte Sir Percival.
»CPK-MB und Troponin-Werte sind deutlich erhöht, und sein Cholesterinspiegel lag laut Labor bei
Weitere Kostenlose Bücher