12 - Im Auge des Tigers
Sache durch den Kopf gehen. Gerry Hendley wollte jemanden, der auf die Zwillinge aufpasste, und wie es aussah, ließ er sich das nicht mehr ausreden. In Rick Bells nachrichtendienstlicher Abteilung gab es einige gute Leute, die jedoch allesamt bereits eine Laufbahn als Nachrichtendienstler bei der CIA oder einer anderen Be-hörde hinter sich hatten und zu alt waren, um als Begleiter der Zwillinge infrage zu kommen. Es hätte einfach merkwürdig gewirkt, wenn zwei Männer Ende zwanzig gemeinsam mit jemandem, der schon Mitte fünfzig war, durch Europa gereist wären. Man brauchte also jemand Jüngeren.
Davon gab es nicht viele, eigentlich nur einen… Er griff zum Telefon.
Fa’ad bewohnte ein Zimmer im zweiten Stock des nur zwei Straßen entfernten Hotel Bristol, einer berühmten Nobel-herberge, die vor allem für ihr hervorragendes Restaurant und ihre Nähe zur Staatsoper bekannt war. Diese lag gleich gegenüber – geheiligt durch das Andenken Wolfgang Amadeus Mozarts, der hier die größten Höhepunkte seiner künstlerischen Laufbahn feierte, ehe er – ebenfalls hier in 520
Wien – einen frühen Tod fand. Aber für derlei Geschichten hatte Fa’ad nichts übrig. Seine Gedanken kreisten ausschließlich um das Hier und Jetzt. Anas Ali Atefs Tod hatte ihn tief erschüttert. Das war schließlich etwas völlig anderes, als wenn irgendein Ungläubiger starb. Fa’ad hatte da-beigestanden und ohnmächtig mit ansehen müssen, wie alles Leben aus dem Körper seines Freundes wich, während die deutschen Rettungssanitäter vergeblich versuchten, ihn wiederzubeleben – und so sehr sie ihn auch insgeheim verachtet haben mussten, sie hatten doch ganz offensichtlich ihr Bestes getan. Das wunderte Fa’ad. Gewiss, sie waren Deutsche, die nichts weiter als ihren Job machten, aber das hatten sie mit hartnäckiger Entschlossenheit getan. Anschließend hatten sie seinen Kameraden auf schnellstem Weg ins nächste Krankenhaus gebracht, wo deutsche Ärzte sich auf ähnliche Weise für ihn einsetzten, wenn auch ebenfalls vergeblich. Später war einer der Ärzte zu Fa’ad ins Wartezimmer gekommen, um ihm die traurige Nachricht zu überbringen und unnötigerweise hinzuzufügen, sie hätten alles in ihrer Macht Stehende getan. Er sagte, allem Anschein nach handele es sich um einen schweren Herzinfarkt, allerdings würden im Labor noch weitere Untersuchungen vorgenommen werden, um Gewissheit zu erlangen.
Schließlich erkundigte sich der Arzt sogar noch, ob Atef Verwandte gehabt hätte und wer sich nach der Obduktion um die Leiche kümmern würde. Schon komisch mit den Deutschen, wie korrekt sie immer bei allem waren. Fa’ad hatte, so weit das möglich war, alles Nötige veranlasst und war dann mit dem Zug nach Wien gefahren. Unterwegs –
allein in seinem Erste-Klasse-Abteil – hatte er versucht, den schrecklichen Vorfall zu verarbeiten.
Jetzt war er gerade dabei, der Organisation Meldung zu erstatten. Mohammed Hassan al-Din war sein Ansprech-partner. Wahrscheinlich hielt er sich gerade in Rom auf, was Fa’ad Rahman Yasin allerdings nicht mit Sicherheit wusste. Doch das brauchte er auch nicht zu wissen. Bei aller 521
Formlosigkeit reichte das Internet für diese Zwecke vollkommen aus. Es war nur wirklich bedauerlich, dass ein junger, kräftiger und wertvoller Kamerad einfach tot umgefallen war. Wenn Atefs früher Tod einem Zweck diente, kannte ihn allein Allah – denn Allah hatte für alles einen Plan, und es war den Menschen nicht immer gegeben, diesen zu durchschauen. Fa’ad nahm einen Cognac aus der Minibar und trank ihn gleich aus dem Fläschchen, anstatt ihn in einen der bereitstehenden Schwenker zu gießen.
Sünde hin oder her – der Alkohol half ihm, sich zu beruhi-gen. Im Übrigen achtete er darauf, nie in der Öffentlichkeit zu trinken. Verdammtes Pech… Er warf einen weiteren Blick auf die Minibar. Dort warteten noch zwei Cognacs und mehrere Fläschchen mit schottischem Whisky, dem Lieblingsgetränk Saudi-Arabiens, Shar’ia hin oder her.
»Haben Sie Ihren Pass bei sich?«, wollte Granger wissen, sobald er sich gesetzt hatte.
»Sicher. Warum?«, fragte Ryan.
»Sie fliegen nach Österreich. Ihr Flug geht heute Abend vom Dulles. Hier ist Ihr Ticket.« Der Leiter der Einsatzabteilung schob einen Umschlag über den Schreibtisch.
»Wozu?«
»Im Hotel Imperial ist ein Zimmer für Sie gebucht. Dort treffen Sie mit Dominic und Brian Caruso zusammen, um sie über die neuesten nachrichtendienstlichen Erkenntnisse auf
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