12 - Im Auge des Tigers
öfter begegnet, brauchen wir uns überhaupt keine Sorgen zu machen. Wer sagt denn, dass es schwer sein muss, Enzo.«
»Hoffentlich hast du Recht, Aldo. Die Geschichte im Einkaufszentrum steckt mir noch ganz schön in den Knochen.
Noch mehr Action muss im Moment nicht sein.«
»Wem sagst du das?«
Sie waren hier nicht im höchsten Teil der Alpen. Der lag weiter westlich. Trotzdem wäre es einem ganz schön in die Beine gegangen, diese Berge zu Fuß zu überqueren, wie es die römischen Legionen getan hatten, für die gepflasterte Straßen schon ein Luxus waren. Vermutlich immer noch besser als Schlamm und Geröll, aber kein Vergleich zu den heutigen – und das auch noch mit einem Tornister auf dem Buckel, der in etwa so viel gewogen haben dürfte wie die Ausrüstung, die die Marines in Afghanistan mit sich her-umgeschleppt hatten. Diese Legionäre waren ziemlich harte Burschen gewesen und wahrscheinlich nicht viel anders als die Burschen in Tarnanzügen heutzutage. Damals sprang man mit bösen Jungs allerdings noch etwas rabiater um als heute. Man tötete ihre Familien, ihre Freunde, ihre Nachbarn und sogar ihre Hunde – und was das Entscheidende war: Man tat es ganz offen. Im Zeitalter von CNN war das allerdings nicht unbedingt ratsam, und um genau zu sein, gab es auch nicht viele Marines, die sich an einem solchen Gemetzel beteiligt hätten. Terroristen auszuschalten war etwas anderes. Es war in Ordnung, solange man keine un-570
schuldigen Zivilisten gefährdete. Letzteres tat nur die Gegenseite. Wirklich schade, dass sie nicht auf einem Schlachtfeld aufeinander treffen und es wie Männer austragen konnten, aber Terroristen waren nun einmal nicht nur äu-
ßerst hinterhältig, sondern auch zutiefst pragmatisch. Sie wussten sehr wohl, dass es keinen Sinn hatte, sich auf einen offenen Kampf einzulassen, denn in einem solchen wären sie nicht nur hoffnungslos unterlegen gewesen – sie wären buchstäblich abgeschlachtet worden wie Schafe in einem Pferch. Wären sie echte Männer gewesen, dann hätten sie eine ordentliche Streitkraft aufgebaut, entsprechend ausgebildet und ausgerüstet, und diese dann in den Kampf geschickt, anstatt wie Ratten herumzuschleichen und Babys in der Wiege anzufallen.
Selbst im Krieg gab es Regeln, die aufgestellt worden waren, weil es schlimmere Dinge gab als den Krieg. Man fügte Zivilisten nicht vorsätzlich Leid zu, und man gab sich alle Mühe, es auch nicht versehentlich zu tun. Die Marines verwandten inzwischen viel Zeit, Geld und Mühe auf eine gründliche Straßenkampfausbildung, und die größte Schwierigkeit daran war, Unschuldige zu verschonen. Kein vernünftiger Mensch wollte auf Frauen mit Babys in Kinderwagen schießen – selbst wenn man wusste, dass manche dieser Frauen neben ihrem Kleinen eine Waffe verstaut hatten und nur darauf warteten, dass ihnen ein Marine den Rücken kehrte – vorzugsweise nur zwei, drei Meter entfernt, damit sie ihn nur ja nicht verfehlten. Wenn man es recht bedachte, hatte alles seine Grenzen. Auch Regeln waren nur bis zu einem gewissen Grad sinnvoll. Und für Brian war damit jetzt Schluss. Er und sein Bruder spielten das Spiel jetzt nach den Regeln des Feindes, und solange der Feind davon nichts wusste, war es ein lohnendes Spiel. Wie viele Menschenleben hatten er und Dom möglicherweise schon gerettet, indem sie einen Banker, einen Anwerber und einen Kurier ausgeschaltet hatten? Das Problem war, dass man das nie wissen konnte. Ebenso wenig würden sie 571
je erfahren, welche schrecklichen Dinge sie verhinderten, indem sie sich diesen Dreckskerl 56MoHa vorknöpften.
Aber die Tatsache, dass so etwas nicht quantifizierbar war, hieß noch lange nicht, dass es nicht zählte. Es war wie mit diesem Kindermörder, den Enzo in Alabama erledigt hatte.
Sie beide verrichteten das Werk des Herrn, auch wenn der Herr kein Buchhalter war.
Unterwegs im Auftrag des Herrn, dachte Brian. Prächtig, diese saftigen grünen Bergwiesen, sagte er sich, während er nach dem einsamen Ziegenhirten Ausschau hielt. Hollarä-
dulljöh…
»Er ist wo?«, fragte Hendley.
»Im Excelsior«, wiederholte Rick Bell. »Er sagt, das Zimmer der Zielperson ist nur ein paar Türen weiter.«
»Ich glaube, unser Junge braucht dringend etwas Nach-hilfe in puncto Einsatzverhalten«, bemerkte Granger verstimmt.
»Überlegen Sie doch mal«, gab Bell zu bedenken. »Die Gegenseite weiß von nichts. Unser Freund wird sich also über Jack und die Zwillinge nicht mehr beunruhigen
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