12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
gewagt hätten. In diesem Jahr aber scheint es, als ob sich unsere Feinde ruhig verhalten wollten, und so werden wir nach langer Zeit wieder einmal unsern Heiligen verehren. Tschelebim mahalinde geldin – du kommst zur rechten Zeit. Zwar mögen wir Fremde nicht bei unsern Festen haben; du aber bist der Wohltäter der Meinigen und wirst uns willkommen sein.“
Nichts war mir angenehmer, als diese Einladung, denn sie gab mir Gelegenheit, die Sitten und Gebräuche der rätselhaften Teufelsanbeter kennenzulernen. Die Radjahell Scheïtan oder Chalk-scheïtanün (Teufelsleute) waren mir so schlimm geschildert worden und erschienen mir doch in einem viel besseren Licht, so daß ich begierig war, mir Aufklärung über sie zu verschaffen.
„Habe Dank für dein freundliches Anerbieten“, antwortete ich.
„Ich würde sehr gern bei dir verweilen, aber wir haben eine Aufgabe zu lösen, welche erfordert, daß wir bald wieder Baadri verlassen.“
„Ich kenne diese Aufgabe“, antwortete er. „Du kannst trotz derselben unser Fest mitfeiern.“
„Du kennst sie?“
„Ja. Ihr wollt zu Amad al Ghandur, dem Sohn des Scheik Mohammed Emin. Er befindet sich in Amadijah.“
„Woher weißt du dies?“
„Von den drei Männern, welche du gerettest hast. Ihr werdet ihn aber jetzt nicht befreien können.“
„Warum?“
„Der Mutessarif von Mossul scheint einen Einfall der östlichen Kurden zu befürchten und hat viele Truppen nach Amadijah bestimmt, von denen bereits eine Anzahl in Amadijah eingetroffen ist.“
„Wieviel?“
„Zwei Jüsbaschi (Kapitän, Befehlshaber von hundert Mann) mit zweihundert Mann vom sechsten Infanterie-Regiment Anatoli Ordüssi in Diarbekir und drei Jüsbaschi mit dreihundert Mann vom dritten Infanterie-Regiment Irak Ordüssi in Kerkjuk, zusammen also fünfhundert Mann, welche unter einem Bimbaschi (Major, Befehlshaber von tausend Mann) stehen.“
„Und Amadijah liegt zwölf Stunden von hier?“
„Ja; doch die Wege sind so mühsam, daß du innerhalb eines Tages nicht hinzukommen vermagst. Man übernachtet in Cheloki oder Spandareh und reitet erst am nächsten Morgen über die steilen und beschwerlichen Gharahberge, hinter denen die Ebene und der Felsenkegel von Amadijah liegt.“
„Welche Truppen stehen in Mossul?“
„Teile vom zweiten Dragoner- und vom vierten Infanterie-Regiment der Division Irak Ordüssi. Auch sie sind in Bewegung. Eine Abteilung soll gegen die Beduinen ziehen, und eine andere wird über unsere Berge kommen, um nach Amadijah zu marschieren.“
„Wie hoch zählen diese letzteren?“
„Tausend Mann unter einem Miralai (Oberst), bei dem sich auch ein Alai Emini (Regiments-Quartiermeister) befindet. Diesen Miralai kenne ich; er hat das Weib und die beiden Söhne von Pir (Dschesidischer Heiliger) Kamek getötet und heißt Omar Amed.“
„Weißt du, wo sie sich versammeln?“
„Die, welche gegen die Beduinen bestimmt sind, halten sich in den Ruinen von Kufjundschik verborgen; ich habe durch meine Kundschafter erfahren, daß sie bereits übermorgen aufbrechen werden. Die anderen aber werden erst später marschfertig.“
„Ich glaube, daß du von deinen Kundschafter falsch berichtet worden bist.“
„Wieso?“
„Glaubst du wirklich, daß der Mutessarif von Mossul Truppen so weit her aus Diarbekir kommen läßt, um sie gegen die östlichen Kurden zu verwenden? Hätte er das zweite Infanterie-Regiment Irak Ordüssi, welches in Suleimania liegt, nicht viel näher? Und besteht das dritte Regiment in Kerkjuk nicht meistenteils aus Kurden? Glaubst du, daß er den Fehler begeht, dreihundert Mann von ihnen gegen die eigenen Stammesgenossen zu verwenden?“
Er machte eine sehr nachdenkliche Miene und meinte dann:
„Deine Rede ist klug, aber ich begreife sie nicht.“
„Haben die Truppen, welche in Kufjundschik halten, Kanonen bei sich?“
„Nein.“
„Wenn man einen Zug in die Ebene beabsichtigt, wird man gewiß Kanoniere mitnehmen. Eine Truppe, bei welcher sich keine Artillerie befindet, wird ganz sicher in die Berge bestimmt sein.“
„So hat mein Kundschafter eine Verwechslung begangen. Die Leute, welche in den Ruinen halten, sind nicht gegen die Beduinen, sondern nach Amadijah bestimmt.“
„Sie sollen bereits übermorgen aufbrechen? Dann kommen sie just am Tag eures großen Festes hier an!“
„Emir!“
Er sprach nur dieses eine Wort, aber im Ton des höchsten Schreckens. Ich fuhr fort:
„Bemerke, daß weder die Süd- noch die Nordseite von
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