12 - Tod Bei Vollmond
ich keine Mönche und Nonnen.« Die Stimme klang immer noch abweisend.
»Wir sind nicht als Geistliche hier. Ich bin eine dálaigh und vertrete hier die oberste Gerichtsbarkeit.«
Der Unsichtbare schwieg und schien über diese Mitteilung nachzudenken. Dann löste sich ein Schatten aus den Bäumen. Ein älterer Mann in einem safrangelben Wollgewand trat hervor. Er trug eine silberne Halskette, hatte langes schlohweißes Haar, das von einem Haarreif aus grünen und gelben Perlen zurückgehalten wurde. An einem Lederriemen über der Schulter hing ein Sack, in dem Eadulf den traditionellen lés oder Medizinbeutel erkannte. In der rechten Hand hielt er etwas, das wie eine Peitsche aussah.
»Tritt vor, dálaigh . Ich will diejenige sehen, die als Anwältin hier ist und nicht als Nonne.«
Fidelma bewegte sich ein wenig den Pfad hinauf und gab den anderen ein Zeichen, an Ort und Stelle zu warten. Das Gesicht des Mannes war tief zerfurcht, und seine Augen leuchteten wie zwei kalte blaue Steine. Mißtrauisch betrachtete er Fidelma.
»Für eine Vertreterin des Gesetzes bist du ziemlich jung«, sagte er schließlich.
»Und für den einzigen vertrauenswürdigen Mediziner in dieser Gegend wirkst du recht alt«, erwiderte Fidelma feierlich.
Der alte Mann zeigte auf den Gegenstand in seiner Hand. »Erkennst du das hier?«
Sie nickte rasch. »Die echlais ist ein Zeichen deines Amtes, sie zeigt, daß du ein gesetzlich anerkannter Arzt bist.«
»So ist es. Ich besitze die ganze Autorität meines Berufes. Ich bin nicht nur ein Kräuterdoktor.«
»Das habe ich auch nicht gedacht.« Sie fuhr mit der Hand zu ihrem marsupium , dem Beutel am Gürtel, und holte den Amtsstab aus Eberesche heraus, den ihr Bruder ihr mitgegeben hatte. »Und erkennst du das hier?«
Die Augen des Alten wurden größer. »Der Amtsstab der Eóghanacht, der Könige von Cashel, der Herrscher von Munster, der Nachfahren von Eber Fionn, dem Sohn Golamhs, dem Krieger aus Spanien, der die Kinder der Gael hierherbrachte. Ich erkenne das Hirschemblem.«
Fidelma ließ den Stab wieder in ihrem marsupium verschwinden. »Ich bin, wie ich schon sagte, eine dálaigh und Schwester von Colgú, dem König von Cashel.«
Der alte Einsiedler schwieg einen Augenblick.
»Warum bist du zu mir gekommen?« fragte er endlich.
»Mein Gefährte und ich sind damit beauftragt, die Morde an den drei Mädchen zu untersuchen.«
Der Alte blieb immer noch mißtrauisch.
»Wer hat euch beauftragt?«
»Mein Bruder Colgú, König von Cashel, auf Bitten von Becc, Herrscher der Cinél na Áeda.«
Der alte Mann verzog das Gesicht. »Ein Name der Eóghanacht reicht aus, um deine Befugnis zu untermauern, Fidelma von Cashel. So seid willkommen und nehmt Platz. Ich kann euch miodh cuill anbieten, einen selbstgemachten Haselstrauchmet.«
Fidelma setzte sich auf den Stamm eines umgestürzten Baumes und gab den anderen zu verstehen, es ihr nachzutun.
Der Einsiedler legte seinen Beutel ab und lief rasch zu einer Quelle, die zwischen ein paar Steinen hervorsprudelte. Er griff nach einem Lederriemen im Wasser, an dessen Ende sich ein Krug befand, holte eine Keramikschale aus seinem Beutel und füllte sie mit dem gekühlten Met.
»Ich fürchte, daß ihr euch das wenige teilen müßt«, sagte er, und das klang nicht entschuldigend. »Ich erwarte keinen Besuch, ich ermuntere auch niemanden dazu.«
»Wir werden dich auch gar nicht lange aufhalten«, versicherte ihm Fidelma, nahm die Schale entgegen und trank höflich daraus. Dann reichte sie sie weiter. Das Getränk war zu stark für sie, und selbst Eadulf holte nach dem ersten Schluck Luft. Er hustete und gab die Schale rasch Accobrán, der wohl eher daran gewöhnt war.
»Ich habe erfahren, daß du die Leichen untersucht hast. Deiner Meinung nach sind also alle drei Mädchen ermordet worden.«
»Ich nehme meinen Auftrag immer ernst, Fidelma von Cashel«, erklärte ihr der Alte und setzte sich ihr gegenüber.
»Das ist mir klar.«
»Ich kenne das Gesetz von Dian Cecht, also versuche nicht, meine Fähigkeiten in Frage zu stellen.«
»Gibt es einen Grund, warum ich das tun sollte?« gab ihm Fidelma in so scharfem Ton zurück, daß der Alte einen Moment erschrocken wirkte.
»Nein«, rechtfertigte er sich.
»Dann ist es gut. Denn ich habe keinen Anlaß, die medizinischen Gesetze von Dian Cecht genauer zu betrachten. Ich will nicht deine Untersuchungsergebnisse anfechten, sondern Fakten sammeln.«
Der Alte hatte sich wieder gefaßt und gab ihr
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