12 - Tod Bei Vollmond
beschrieben die Gesetze der Brehons eine beinahe ideale Gesellschaft.
Fidelma studierte an der weltlichen Hochschule des Brehon Morann von Tara. Nach acht Jahren Studium erlangte sie den Grad eines anruth , den zweithöchsten, den die weltlichen oder kirchlichen Hochschulen des alten Irland zu vergeben hatten. Der höchste Grad hieß ollamh , und das ist noch heute das irische Wort für Professor. Fidelma hatte die Rechte studiert, sowohl das Strafrecht Senchus Mór als auch das Zivilrecht Leabhar Acaill . Deshalb wurde sie dálaigh , Anwältin bei Gericht.
Ihre Hauptaufgabe bestand ähnlich der eines heutigen schottischen Richters darin, unabhängig von den Befugnissen der Ordnungshüter Beweismittel aufzunehmen, einzuordnen und festzustellen, ob sich in einem Rechtsfall weitere Ermittlungen lohnen oder ob er eingestellt werden sollte. Der französische juge d’instruction hat heute noch entsprechende Aufgaben. Fidelma durfte darüber hinaus auch vor Gericht als Vertreterin der Anklage oder als Verteidigerin auftreten oder mußte sogar in weniger schwerwiegenden Fällen das Urteil sprechen, wenn ein Brehon dafür nicht abkömmlich war.
In jener Zeit gehörten die meisten Vertreter des Gelehrtenstandes den neuen christlichen Klöstern an, so wie in den Jahrhunderten davor alle Vertreter der geistigen Berufe Druiden waren. Fidelma trat in die geistliche Gemeinschaft von Kildare ein, die im späten fünften Jahrhundert von der heiligen Brigitta gegründet worden war. Zu der Zeit jedoch, in der die vorliegende Geschichte spielt, hatte Fidelma ernüchtert die Gemeinschaft verlassen.
Während das siebente Jahrhundert in Europa zum »finsteren Mittelalter« gezählt wird, gilt es in Irland als ein Zeitalter der »goldenen Aufklärung«. Aus allen Ländern Europas strömten Studierende an die irischen Hochschulen, um sich dort ausbilden zu lassen, unter ihnen auch die Söhne der angelsächsischen Könige. An der großen kirchlichen Hochschule in Durrow findet man zu dieser Zeit Studenten aus nicht weniger als achtzehn Nationen. Zur selben Zeit brachen männliche und weibliche Missionare aus Irland auf, um das heidnische Europa zum Christentum zu bekehren. Sie gründeten Kirchen, Klöster und Zentren der Gelehrsamkeit bis nach Kiew in der Ukraine im Osten, den Färöer-Inseln im Norden und Tarent in Süditalien. Irland galt als Inbegriff von Bildung und Wissenschaft.
Die keltische Kirche Irlands lag jedoch in einem ständigen Streit über Fragen der Liturgie und der Riten mit der Kirche in Rom. Die römische Kirche hatte sich im vierten Jahrhundert reformiert, die Festlegung des Osterfestes und Teile ihrer Liturgie geändert. Die keltische Kirche und die orthodoxe Kirche des Ostens weigerten sich, Rom hierin zu folgen. Die keltische Kirche wurde schließlich zwischen dem neunten und dem elften Jahrhundert von der römischen Kirche aufgesogen, während die orthodoxen Ostkirchen bis heute von Rom unabhängig geblieben sind. Zu Fidelmas Zeit brach dieser Konflikt offen aus. Es ist unmöglich, über Kirchenfragen jener Zeit zu schreiben, ohne sich auf die damals vorherrschenden philosophischen Fehden zu beziehen.
Ein Kennzeichen der keltischen wie der römischen Kirche im siebenten Jahrhundert war die Tatsache, daß der Zölibat nicht allgemein üblich war. Es gab zwar in den Kirchen immer Asketen, die die körperliche Liebe zur Verehrung der Gottheit vergeistigten, doch erst auf dem Konzil von Nicäa im Jahre 325 wurden Heiraten von Geistlichen der westlichen Kirche verurteilt, aber nicht verboten. Der Zölibat in der römischen Kirche leitete sich von den Bräuchen der heidnischen Priesterinnen der Vesta und der Priester der Diana her.
Im fünften Jahrhundert hatte Rom Geistlichen im Range eines Abts oder Bischofs untersagt, mit ihren Ehefrauen zu schlafen, und bald danach die Heirat gänzlich verboten. Einer der Hauptgründe scheint das Bestreben gewesen zu sein, kirchlichen Besitz zusammenzuhalten, denn Papst Pelagius I. (Amtszeit 556–561) ordnete an, daß die Söhne von Priestern keinen Kirchenbesitz erben durften. Den niederen Geistlichen riet Rom von der Heirat ab, verbot sie ihnen aber nicht.
Die Befürworter des Zölibats in Rom wurden immer stärker. Der führende Kleriker Peter Damian (1000–1072), der sich in seinen Schriften als Frauenfeind offenbart, erlangte immer mehr an Einfluß und überredete Papst Leo IX. (Amtszeit 1049–1054), den Zölibat dem ganzen geistlichen Stand aufzuzwingen. Papst Leo IX.
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