12 - Tod Bei Vollmond
vor, zog den Ärmel seines Gewandes hoch und zeigte seine nackte Haut.
»Streck deinen Arm aus, Fidelma von Cashel, und halte ihn daneben.«
Sie folgte der Aufforderung und streifte ebenfalls den Ärmel hoch.
Das Schwarz und das Weiß ihrer Haut lagen nun dicht an dicht.
»Genügt das nicht? Aus Unwissenheit entstehen leicht Vorurteile, Vorurteile wecken Furcht, und Furcht nährt Haß.«
Fidelma nahm ihren Arm zurück.
»Ja, so ist der Mensch leider«, pflichtete sie ihm bei. »Dennoch zwingt mich das Gesetz, die drei Mordfälle genauestens zu untersuchen, bis ich Beweise habe, die über Schuld oder Nicht-Schuld entscheiden. Mein Volk hat ein altes Sprichwort – die Lüge vergeht, doch die Wahrheit besteht.«
Bruder Dangila nahm wieder Platz. »Dann stell uns deine Fragen.«
»Fangen wir mit der Tatzeit an. Das Mädchen Ballgel wurde während des letzten Vollmondes ermordet. Wo waren deine Begleiter und du in jener Nacht?«
»Hier im Kloster«, erfolgte rasch die Antwort.
Bruder Dangila blickte zu seinen Gefährten und sah dann wieder Fidelma in der gewohnten unergründlichen Weise an.
»Wir waren im Schlafraum für Gäste. Wir hatten uns nach dem Angelusgebet gegen Mitternacht zurückgezogen. Und bis zum nächsten Angelusläuten am Morgen haben wir uns nicht fortgerührt«, sagte er.
»Das stimmt nicht ganz.«
Zum erstenmal meldete sich Bruder Gambela zu Wort. Er hatte eine weiche, fast weibliche Stimme. Bruder Dangila schien leicht verärgert.
»Wieso stimmt das nicht ganz?« wollte Fidelma wissen. »Erklär das doch bitte, Bruder Gambela.«
»Ich konnte nicht gleich einschlafen, kann aber demzufolge bezeugen, daß meine beiden Gefährten sofort zur Ruhe kamen. Mein Mund fühlte sich trocken an, also ging ich in die Küche mir Wasser holen.«
»Wie spät war es da etwa? Hat dich jemand gesehen?«
»Das weiß ich nicht. Es war vielleicht eine knappe halbe Stunde nach Mitternacht. Aber ja, mich hat jemand gesehen!«
»Wer?«
»Ich.« Abt Brogán hatte das eingeworfen. »Irgendwann nach Mitternacht kehrte ich von dem Fest bei Becc zurück. Ich glaube, ich habe die Burg des Fürsten kurz nach Mitternacht verlassen und bestimmt nicht mehr als eine halbe bis eine dreiviertel Stunde für den Rückweg gebraucht. Als ich eintrat, sah ich Bruder Gambela aus Richtung der Küche kommen. Wir sagten uns gute Nacht.«
»Im vorletzten Monat wurde das Mädchen Escrach zur Zeit des Vollmondes ermordet. Wo wart ihr da alle?«
»In jener Nacht waren wir ebenfalls alle hier«, erwiderte Bruder Dangila.
Fidelma schwieg einen Moment. Ihr Blick wanderte von einem ausdruckslosen Gesicht zum nächsten.
»Stimmt das wirklich?« erkundigte sie sich leise.
»Bezweifelst du es?« fragte Bruder Gambela zurück.
»Wie wäre eure Antwort, wenn ich euch sagte, daß jemand in der Mordnacht einen von euch auf dem Hügel hinter dem Kloster gesehen hat? Er saß da und starrte zum Vollmond hoch.«
Die Gesichter der drei blieben ohne jede Regung. Einen Moment lang meinte Fidelma, sie würde keine Antwort erhalten. Doch dann sagte Bruder Dangila leise: »Wer ist derjenige, der so etwas behauptet, und wen von uns will er gesehen haben? Selbst wenn dem so wäre, seit wann ist das Sitzen auf einem Hügel und die Betrachtung des Laufs der Gestirne ein Verbrechen? Sagt derjenige auch, daß er das ermordete Mädchen zusammen mit dem, der auf dem Hügel saß, gesehen hat?«
»Deine Antwort ist einleuchtend«, erklärte Fidelma. Der Fremde war offenbar ziemlich scharfsinnig. An den Abt gerichtet, sagte sie: »Accobrán soll Brocc hereinholen.«
Der Abt läutete mit seiner Silberglocke.
Accobrán besprach kurz etwas mit Bruder Solam und führte dann Brocc herein, der mürrisch und beleidigt wirkte und die Fremden zornig anfunkelte.
»So, Brocc, nun wiederhole noch einmal deine Geschichte im Beisein der Fremden«, ordnete Fidelma an und wandte sich anschließend auf griechisch an die drei Männer: »Wenn ihr etwas nicht versteht, werde ich euch helfen.«
Die drei saßen reglos da, während Brocc seine Version noch einmal darbot. Eigenartigerweise schien er all seine Angriffslust und sein prahlerisches Verhalten angesichts der stillen, würdevollen Ausstrahlung der Fremden abgelegt zu haben. Seine Stimme war weich, beinahe höflich.
»Im letzten Monat kehrte ich von einem Geschäft mit einem Händler vom Fluß Bride zurück. Es war Mitternacht, als ich über die Hügel nach Rath Raithlen lief und das Eberdickicht durchquerte. Es
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