12 - Tod Bei Vollmond
herrschte Vollmond, und es war sehr hell. Plötzlich entdeckte ich eine Gestalt bei dem alten Steinkreis an meinem Weg. Es war ein hochgewachsener Mann, der auf einem Felsen saß. Mich sah er nicht. Er blickte mit einem ganz ungewöhnlichen Gesichtsausdruck zum Mond hinauf.«
»Hast du ihn angesprochen?«
»Ja. ›Was tust du hier, Fremder?‹ fragte ich. Ich nannte ihn ›Fremder‹, weil er das wirklich für mich war.«
»Hat er darauf geantwortet?«
»Nein, und ich bezweifle, daß er meine Worte überhaupt verstanden hat, denn er war einer dieser finster aussehenden Fremden, die hinter den großen Meeren leben und deren Haut schwarz ist. Er gehörte ganz sicher nicht zu unseren Leuten.«
»War er allein oder in Gesellschaft?«
»Er schien allein zu sein.«
»Sonst war niemand weiter bei ihm? Bist du sicher?« fragte Fidelma eindringlich.
Brocc machte eine bejahende Geste. »Niemand.«
»Das müssen wir ganz genau wissen, damit derjenige den du beschuldigst, sich auch verteidigen kann.«
»Ich habe niemanden bei dem Fremden gesehen«, meinte Brocc verdrießlich. »Aber ich glaube, daß er nicht allein war.«
»Der Fremde muß nur über das Rechenschaft ablegen was du gesehen hast, und nicht über das, was du zu sehen geglaubt hast«, machte ihm Fidelma unmißverständlich klar. »Nun, du hast gesagt, daß du ihn angesprochen hast und er nichts darauf erwiderte. Was hast du dann gemacht?«
Brocc holte nervös Luft. »Mir wurde ganz angst und bange«, gestand er. »Ich befürchtete, er sei ein Geist, die Ausgeburt des Teufels. Er sagte nichts, der Mond schien auf sein Gesicht, so daß es ganz grau und schrecklich wirkte. Langsam wandte er sich um, und seine Augen funkelten mich wütend an. Da rannte ich davon, so schnell ich konnte. Am nächsten Morgen erfuhr ich von dem Mord an Escrach. Wie ihr wißt, ist mir erst, als auch Ballgel umgebracht wurde, klargeworden, welche Bedeutung diese Begegnung eigentlich hatte. Also versuchte ich, die Leute vor den Fremdlingen zu warnen.«
»Du hast mir gegenüber behauptet, daß die Person auf dem Hügel einer dieser Fremden war. Hältst du immer noch an dieser Aussage fest?«
»Aber sicher.« Etwas von seiner alten Aggressivität kehrte zurück.
»So, du hast die drei Fremden nun vor dir. Welcher von ihnen hat damals im Mondschein auf dem Hügel gesessen?«
Die drei rührten sich nicht auf ihren Plätzen und blickten zu Brocc hinüber.
Brocc hielt es kaum für notwendig, sie genau anzuschauen. Er sagte unverblümt: »Ich kann ihre schwarzen Gesichter nicht voneinander unterscheiden. Für mich sehen sie alle gleich aus. Keine Ahnung, wer es war. Es ist deine Aufgabe, sie zu einem Geständnis zu bewegen.«
Fidelma schnaubte verärgert. »Da irrst du dich gewaltig, Brocc. Meine Pflicht besteht darin, das Gesetz auszulegen. Das Berrad Airechta , das Gesetz der Zeugen, ist ziemlich genau. Du stehst hier vor mir als ein fiadu , das bedeutet ›einer, der sieht‹. Du kannst nur etwas bezeugen, das du gesehen oder gehört hast. Und du mußt einen Eid schwören, um deine Aussage zu untermauern. Du sagst nun, da war ein Mann. Du behauptest, es war einer der drei vor dir sitzenden Männer. Aber welcher? Das kannst du nicht sagen. Die Fremden hier müssen deine Anschuldigungen nicht widerlegen, nein, vielmehr mußt du sie beweisen. Also, Brocc, beschuldigst du einen dieser Männer des Mordes, und wenn dem so ist, um wen handelt es sich? Sprich!«
Brocc zuckte mit seinen kräftigen Schultern. »Ich kann sie nicht voneinander unterscheiden. Aber einen von ihnen habe ich gesehen. Mehr kann ich nicht sagen.«
Fidelma atmete leise aus.
»Accobrán, würdest du Brocc bitte wieder hinausführen. Warte draußen auf uns.«
Brocc wurde wütend.
»Ha, alle Mönche und Nonnen sind gleich! Du ziehst ihre Worte meinen vor?« rief er.
Fidelma erwiderte seinen zornigen Blick nicht.
»Vor dem Gesetz, Brocc, hat deine Aussage kein Gewicht. Deine Anschuldigungen entbehren jeder gesetzlichen Grundlage. Ich bin hier, um Tatsachen auszuwerten und nicht grundlose Anschuldigungen.« Fidelma entließ ihn mit einem Wink, und ohne ein Wort zu verlieren, beförderte Accobrán Brocc ziemlich unsanft aus dem Raum.
K APITEL 7
Als sich die Tür hinter Accobrán und Brocc schloß, wandte sich Fidelma wieder den drei Aksumitern zu, die immer noch reglos dasaßen, als hätten sie das soeben Geschehene nicht mitbekommen.
»Habt ihr irgend etwas auf Broccs Vorwürfe zu erwidern?« fragte sie ruhig.
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