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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Gleichzeitig wurde das Kreischen der Möwen hörbar, die in den Granitfelsen der Küstenklippen rund um die hufeisenförmige Bucht kreisten. Stechginster und Mauerpfeffer wuchsen hier in ungehinderter Fülle, und wo das Erdreich tiefer war, kennzeichnete dorniges Gestrüpp die Stellen, an denen im Frühjahr Schwarzdorn und Brombeeren grünen würden.
    Am Ende des Abstiegs lag ein kleiner Parkplatz wie ein Daumenabdruck in der Landschaft. Er war leer, kein Wunder zu dieser Jahreszeit. Der Ort war wie geschaffen für ein ungestörtes Bad oder andere Tätigkeiten, bei denen Zeugen nicht erwünscht waren.
    Eine aus Steinen errichtete Mole schützte den Parkplatz vor der Erosion durch Ebbe und Flut, und auf der einen Seite dieser Mauer führte eine schräge Rampe zum Wasser hinunter, dicht bedeckt mit Büscheln toten Tangs, in denen es zu einer anderen Jahreszeit von Fliegen und Mücken gewimmelt hätte. Doch mitten im Dezember rührte sich nichts in den verrottenden Pflanzen, und St. James und Deborah konnten unbelästigt über sie hinweg zum Strand hinunterklettern, wo die Wellen in gleichförmigem Rhythmus gegen Steine und groben Sand schlugen.
    »Kein Wind«, stellte St. James fest, den Blick zur Öffnung der Bucht gerichtet. »Das ist günstig zum Schwimmen.«
    »Aber das Wasser ist eiskalt«, sagte Deborah. »Ich frage mich, wie er das geschafft hat. Mitten im Dezember. Das ist doch ungewöhnlich.«
    »Manche Menschen mögen eben die Extreme«, meinte St. James. »Komm, schauen wir uns mal um.«
    »Wonach genau?«
    »Vielleicht hat die Polizei etwas übersehen.«
    Der eigentliche Tatort war nicht schwer zu finden, er war noch gekennzeichnet von den Spuren polizeilicher Aktivität - ein Streifen gelben Absperrungsbands, zwei weggeworfene Filmdosen und ein Klümpchen weißer Gips, das herabgetropft war, als jemand einen Abdruck gemacht hatte. An dieser Stelle begannen St. James und Deborah mit ihrer Suche und setzten sie in immer größer werdenden Kreisen fort.
    Sie kamen nur langsam voran. Den Blick fest zu Boden gerichtet, zogen sie einen Kreis nach dem anderen, drehten die größeren Steine, auf die sie stießen, um, teilten vorsichtig Tangbüschel, siebten den Sand, indem sie ihn durch ihre Finger rieseln ließen. So verging eine Stunde. Sie fanden den Deckel eines Babygläschens, ein ausgebleichtes Stoffband, eine leere Evianflasche und achtundsiebzig Pence in Münzen.
    Als sie zur Mole kamen, schlug St. James vor, sie sollten an verschiedenen Enden anfangen und aufeinander zu arbeiten. Wenn sie zusammentrafen, sagte er, würden sie einfach weitermachen, so dass am Ende jeder von ihnen die ganze Mauer inspiziert hätte.
    Sie mussten mit großer Sorgfalt zu Werke gehen, denn die Steine waren hier schwerer, und es gab mehr Ritzen und Spalten, in die etwas hineinfallen konnte. Doch obwohl sie sich beide im Schneckentempo vorwärts bewegten, standen sie mit leeren Händen da, als sie auf halbem Weg zusammentrafen.
    »Sehr verheißungsvoll ist das nicht«, sagte Deborah.
    »Nein«, stimmte St. James zu. »Aber es war ja von Anfang an nur eine kleine Chance.« Er ruhte sich einen Moment aus, die Arme verschränkt, den Blick aufs Wasser gerichtet. Er dachte über Lügen nach: Über die Lügen, die Menschen erzählen, und über die Lügen, die Menschen glauben. Manchmal war Lügner und Belogener derselbe. Man brauchte etwas nur oft genug zu erzählen, dann glaubte man es auch.
    »Du bist beunruhigt, nicht?«, fragte Deborah. »Wenn wir nichts finden...«
    Er legte den Arm um sie und gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. »Komm, machen wir weiter«, forderte er sie auf. Aber er sagte nicht, was er dachte: Dass etwas zu finden, verhängnisvoller sein konnte, als das Pech, nichts zu finden.
    Wie die Krebse krochen sie weiter, St. James behindert durch die Beinschiene, die ihm das Gehen auf den größeren Steinen schwerer machte als seiner Frau. Vielleicht war das der Grund, warum der Triumphschrei über einen Fund etwa fünfzehn Minuten später von Deborah kam.
    »Hier!«, rief sie. »Simon, schau dir das an!«
    Er drehte sich um. Sie hatte das Ende der Mole erreicht, jene Stelle, wo die Rampe zum Wasser abfiel. Sie wies zu der Ecke, an der Mauer und Rampe zusammenstießen, und als St. James sich auf den Weg zu ihr machte, ging sie in die Knie, um besser erkennen zu können, was sie entdeckt hatte.
    »Was ist es?«, fragte er, als er neben ihr war.
    »Etwas aus Metall«, sagte sie. »Ich wollte es nicht

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