12 - Wer die Wahrheit sucht
Entwicklung der Dinge erfuhren.
Was, wie Margaret wusste, nichts anderes hieß, als dass Mr. Forrest viel lieber mit jedem Begünstigten allein gesprochen hätte, um später jedem eine eigene Rechnung schicken zu können. Ein widerwärtiger Mensch.
Ruth kauerte wie ein Huhn auf der Kante eines Queen-Anne-Sessels nicht weit von Valerie Duffy. Kevin Duffy blieb am Fenster stehen, Frank Ouseley am offenen Kamin. Anaïs Abbott und ihre Tochter nahmen auf einem zweisitzigen Sofa Platz, wo die eine fortfuhr, die Hände zu ringen, und die andere krampfhaft versuchte, ihre Giraffenbeine irgendwie so unterzubringen, dass sie nicht auffielen.
Mr. Forrest setzte sich und schwenkte einmal kurz mit lockerem Handgelenk seine Papiere. Der letzte Wille Mr. Guy Brouards, begann er, sei am zweiten Oktober dieses Jahres verfasst, unterzeichnet und bezeugt worden. Es sei ein einfaches Dokument.
Margaret war nicht sonderlich glücklich mit der Entwicklung der Dinge. Sie machte sich auf unangenehme Enthüllungen gefasst. Und das war klug von ihr, wie sich zeigte. Kurz und bündig unterrichtete Mr. Forrest die Versammelten, dass Guy Brouards gesamter Nachlass sich aus einem einzigen Bankkonto und einem Wertpapierportefeuille zusammensetzte. Der Kontobestand und der Wertpapierbestand sollten gemäß dem geltenden Erbrecht in zwei gleiche Teile geteilt werden. Die eine Hälfte sollte, wiederum nach geltendem Erbrecht, unter den drei Kindern des Erblassers gedrittelt werden. Die zweite Hälfte fiel zu gleichen Teilen an Paul Fielder und Cynthia Moullin.
Ruth, geliebte Schwester und lebenslange Gefährtin des Verstorbenen, wurde mit keinem Wort erwähnt. Aber wenn man das ungeheure Vermögen Guys bedachte - die Immobilien in England, Frankreich, Spanien und auf den Seychellen, seine internationalen Unternehmensbeteiligungen, sein Wertpapiervermögen, seine Kunstsammlung und Le Reposoir -, dieses Vermögen, das in seinem Testament nicht einmal angesprochen wurde, so brauchte man nicht viel zu überlegen, um zu begreifen, was Guy getan hatte: Er hatte seinen Kindern unmissverständlich klar gemacht, was er von ihnen hielt, und gleichzeitig bestens für das Wohl seiner Schwester vorgesorgt. Mein Gott, dachte Margaret, er muss ihr noch zu seinen Lebzeiten alles überschrieben haben.
Als Mr. Forrest zum Schluss seiner Ausführungen kam, herrschte fassungsloses Schweigen, und nur langsam wurde zumindest bei Margaret die Fassungslosigkeit von Empörung verdrängt. Sie war sofort überzeugt, dass Ruth diese ganze Veranstaltung nur inszeniert hatte, um sie zu demütigen. Ruth hatte sie nie gemocht. Von Anfang an nicht. Und in den Jahren, in denen sie - Margaret - Guy seinen Sohn vorenthalten hatte, war bei Ruth zweifellos ein abgrundtiefer Hass gegen sie gewachsen. Welch eine Genugtuung ihr dieser Augenblick bereiten musste, in dem sie miterleben konnte, wie Margaret Chamberlain ihre gerechte Strafe bekam: in Form der bitteren Erkenntnis, dass Guys Nachlass bei weitem nicht ihren Erwartungen entsprach, und ihr Sohn obendrein aus diesem Nachlass weniger erhielt als zwei wildfremde Personen namens Fielder und Moullin.
Zum Kampf bereit wandte Margaret sich ihrer ehemaligen Schwägerin zu. Doch in Ruths Gesicht erblickte sie eine Wahrheit, die sie nicht glauben mochte. Ruth war so bleich geworden, dass ihre Lippen kreidig wirkten, und ihr Gesichtsausdruck sagte deutlicher als alle Worte, dass das Testament ihres Bruders allem widersprach, was sie erwartet hatte. Sah man diese Reaktion in Zusammenhang mit ihrer Einladung an die anderen, der Testamentsverlesung beizuwohnen, so verriet sie allerdings noch weit mehr. Für Margaret stand fest: Ruth hatte nicht nur von der Existenz eines früheren Testaments gewusst, sie hatte auch den Inhalt dieses Testaments gekannt.
Warum sonst hätte sie Guys letzte Geliebte zu diesem Termin gebeten? Warum Frank Ouseley? Die Duffys? Es konnte dafür nur einen Grund geben: Ruth hatte sie alle in gutem Glauben eingeladen, weil Guy in einem früheren Testament jedem von ihnen etwas hinterlassen hatte.
Und was ist mit Adrian?, dachte Margaret. Was ist mit meinem Sohn? Ein dünner roter Schleier schien sich vor ihren Blick zu ziehen, als sie begriff, was geschehen war: Ihrem Sohn Adrian sollte verweigert werden, was ihm von Rechts wegen zustand... Er war von seinem Vater praktisch enterbt worden... Er sollte es sich gefallen lassen, weniger zu erhalten als zwei Wildfremde - Fielder und Moullin, wer auch immer das sein
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