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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Leben einer Vertriebenen - das, so schien es, das Leben als Pflegekind bei fremden Leuten darstellte, als wäre sie das einzige Kind gewesen, das in den Jahren nach dem Krieg dieses Schicksal erlitten hatte -, rang Anaïs unaufhörlich die Hände und erzählte jedem, der es hören wollte, Stephen sei »in seinem Kummer einfach fortgelaufen.« Jedes Mal füllten sich dabei in peinlicher Zurschaustellung ewiger Liebe und Treue zu dem Verstorbenen ihre Augen mit Tränen.
    Neben den Abbotts waren die Duffys da. Kevin - Verwalter, Gärtner, Hausmeister von Le Reposoir, kurz: Guys Faktotum - stand abseits an einem Fenster, schaute zum Park hinunter und ließ, offenbar aus Prinzip, allenfalls einmal ein Brummen hören. Seine Frau Valerie hielt die Hände im Schoß zusammengekrampft. Ihr ratloser Blick flog bald zu ihrem Mann, bald zu Ruth, bald zu dem Anwalt, der dabei war, sein Aktenköfferchen auszupacken. Sie schien überhaupt nicht zu verstehen, was sie bei dieser Veranstaltung sollte.
    Schließlich war noch Frank Ouseley da, der Margaret nach der Bestattung vorgestellt worden war, eingefleischter Junggeselle, wie sie gehört hatte, und ein sehr guter Freund von Guy. Sein Seelenfreund sozusagen, ihm verbunden durch das leidenschaftliche Interesse an den Zeiten des Zweiten Weltkriegs, das die beiden Männer miteinander geteilt hatten. Für Margaret war das genug, um ihn mit Argwohn zu betrachten. Er war, wie sie inzwischen wusste, die treibende Kraft hinter diesem hirnverbrannten Museumsprojekt und womöglich verantwortlich dafür, dass weiß der Himmel wie viele Millionen von Guys Geld in andere Taschen als die ihres Sohnes fließen würden. Sie fand ihn ausgesprochen abstoßend mit seinem unmöglichen Tweedanzug und den schlecht überkronten Schneidezähnen. Außerdem war er dick, das sprach zusätzlich gegen ihn. Dicke Bäuche zeugten von Gefräßigkeit, und die wiederum zeugte von Gier.
    Und er sprach mit Adrian, der offensichtlich sogar zu dumm war, um einen Gegner zu erkennen, wenn er ihn vor sich hatte. Wenn sich die Dinge in der nächsten halben Stunde so entwickelten, wie Margaret fürchtete, konnte es gut sein, dass sie sich mit diesem feisten Kerl vor Gericht wiedertreffen würden. Adrian hätte doch wirklich so klug sein können, wenigstens das zu bedenken, und sich dem Mann fern zu halten.
    Margaret seufzte. Während sie ihren Sohn beobachtete, fiel ihr zum ersten Mal seine große Ähnlichkeit mit seinem Vater auf und dass er alles tat, um diese Ähnlichkeit zu verleugnen: Das Haar trug er sehr kurz, damit ja nicht Guys Locken zum Vorschein kommen konnten; er kleidete sich nachlässig, war stets glatt rasiert, um keine Erinnerung an Guys gepflegten Bart aufkommen zu lassen. Aber seine Augen, schwerlidrig mit glutvollem Blick wie die seines Vaters, konnte er nicht verändern. Und auch nicht seinen Teint, der um einiges dunkler war als der des Durchschnittsengländers.
    Sie ging zum offenen Kamin, wo er mit dem Freund seines Vaters stand, und hakte sich bei ihm unter. »Setz dich zu mir, Darling«, sagte sie. »Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich ihn Ihnen entführe, Mr. Ouseley?«
    Frank Ouseley wurde durch Ruth einer Antwort enthoben, die in diesem Moment die Tür schloss, zum Zeichen, dass alle da waren. Margaret führte Adrian zu einem Sofa, das Teil einer Sitzgruppe in der Nähe des Tisches war, auf dem Guys Anwalt - ein gertenschlanker Mann namens Dominic Forrest - seine Papiere bereitgelegt hatte.
    Margaret entging nicht, dass alle sich anstrengten, möglichst unaufgeregt zu wirken. Das galt auch für ihren Sohn, den sie nur mit Mühe dazu gebracht hatte, überhaupt an dieser Sitzung teilzunehmen. Er saß mit ausdrucksloser Miene da und bekundete durch seine ganze Haltung, wie wenig es ihn interessierte, wie sein Vater über sein Vermögen verfügt hatte.
    Margaret war das egal; sie interessierte es in höchstem Maße. Sie war denn auch ganz wache Aufmerksamkeit, als Forrest seine Halbbrille aufsetzte und sich räusperte. Er hatte nicht versäumt, sie darauf aufmerksam zu machen, dass diese Art der Testamentsverlesung aufs Höchste ungewöhnlich war. Normalerweise, hatte er erklärt, wählte man einen vertraulichen Rahmen, um den Begünstigten die sie betreffenden Verfügungen zur Kenntnis zu bringen, damit sie sich in aller Ruhe mit der neuen Situation auseinander setzen und eventuelle Fragen stellen konnten, ohne dass andere, die ihnen vielleicht nicht unbedingt wohlgesinnt waren, etwas von der

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