Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
Tochter, Gott verflucht!«, und hörte auf zu graben. Er ergriff den Eimer mit den Kügelchen und kippte diese in den zweiten Graben, ohne sich darum zu kümmern, dass sie über die Seiten quollen. »Bildet er sich vielleicht ein, er kann...«, sagte er. »Nie im Leben...« Und noch ehe Margaret etwas sagen und, wenn auch noch so scheinheilig, an seiner offenkundigen schmerzlichen Empörung über diese Einmischung Guys in seine Belange als Versorger seiner Tochter Anteil nehmen konnte, packte Henry Moullin wieder die Schaufel. Diesmal jedoch drehte er sich zu Margaret herum und rückte mit dem hocherhobenen Werkzeug gegen sie vor.
    Margaret schrie auf, duckte sich, hasste sich für dieses Ducken, hasste ihn, weil er sie dazu gebracht hatte, und suchte nach einem Fluchtweg. Aber ein Entkommen gab es nur, wenn sie über die Feuerwache aus Muscheln sprang, die Muschel-Liege und den MuschelTeetisch oder - mit einem Riesensatz wie eine Weitspringerin - über den muschelumkränzten Teich. Schon wollte sie zur Liege laufen, da rannte Henry Moullin an ihr vorbei und fiel über die Feuerwache her. Blind schlug er darauf los. »Gott verdammich!« Muschelsplitter flogen nach allen Seiten. Mit drei brutalen Schlägen legte er das Ding in Trümmer. Als Nächstes nahm er sich die Scheune vor und dann die Schule, und voll Furcht vor der Gewalt seines Zorns sah Margaret ihm zu.
    Er sprach kein Wort mehr. Er warf sich von einer fantastischen Muschelkreation auf die nächste: Schulhaus, Teetisch, Stühle, Teich, künstliche Blumen. Es gab kein Halten mehr. Er hörte erst auf, als er beim Fußweg angelangt war, der die Einfahrt mit der Haustür verband. Dann schleuderte er zum guten Schluss die Schaufel nach seinem eigenen Haus. Sie verfehlte knapp eines der Gitterfenster und fiel klirrend zu Boden.
    Schwer atmend stand der Mann da. Einige der Wunden an seinen Händen hatten sich wieder geöffnet, Muschel- und Betonsplitter hatten neue Wunden gerissen. Die dreckstarrende Jeans war weiß bestäubt, und als er sich die Hände an ihr abwischte, mischte sich das Blut mit dem Weiß des Staubs.
    »Nicht!«, rief Margaret, ohne zu überlegen. »Lassen Sie sich das nicht von ihm antun, Henry Moullin.«
    Keuchend starrte er sie an, zwinkernd, als würde er dadurch irgendwie wieder einen klaren Kopf bekommen. Alle Aggressionen waren verpufft. Er betrachtete die Verwüstungen, die er vor dem Haus angerichtet hatte, und sagte: »Das Schwein hatte doch schon zwei!«
    JoAnnas Töchter, dachte Margaret. Guy hatte eigene Töchter. Das Schicksal hatte ihm die Chance gegeben, Vater zu sein, und er hatte die Chance vertan. Aber er war nicht der Mensch gewesen, der so ein Scheitern einfach hinnahm; er hatte die Kinder, die er verlassen hatte, kurzerhand durch andere ersetzt, von denen eher zu erwarten war, dass sie den Blick vor den Fehlern und Schwächen verschließen würden, die seine eigenen Kinder gnadenlos erkannten. Denn sie waren arm, und er war reich. Mit Geld konnte man Zuneigung und Ergebenheit kaufen.
    Margaret sagte: »Sie müssen sich um Ihre Hände kümmern. Sie sind ganz zerschnitten und bluten. Nein, wischen Sie sie nicht ab -«
    Aber er tat es trotzdem und zog neue rote Streifen in den Staub und den Schmutz auf seiner Jeans. Und als reichte ihm das nicht, wischte er sie auch noch an seinem staubbedeckten Arbeitshemd ab. »Wir wollen das verdammte Geld nicht haben«, sagte er.
    »Wir brauchen es nicht. Meinetwegen können Sie es auf dem Trinity Square verbrennen.«
    Margaret dachte, er hätte das gleich sagen können. Dann wäre ihnen beiden diese Schreckensszene erspart und der Muschelgarten verschont geblieben. »Das höre ich gern, Mr. Moullin«, erwiderte sie. »Es ist Adrian gegenüber ja auch nur fair -«
    »Aber das Geld gehört Cynthia«, fuhr Henry Moullin fort und zerstörte ihre Hoffnungen so gründlich wie vorher die Schöpfungen aus Muscheln und Beton, deren traurige Überreste sie umgaben. »Wenn Cyn das Geld haben will...« Er schlurfte zu der auf dem Boden liegenden Schaufel und hob sie auf, ebenso einen Rechen und eine Kehrschaufel. Als er sie alle eingesammelt hatte, schaute er sich um, als wüsste er nicht mehr, was er mit ihnen gewollt hatte.
    Margaret sah, dass seine Augen vor Kummer gerötet waren. Er sagte: »Er kommt zu mir. Ich gehe zu ihm. Jahrelang arbeiten wir Seite an Seite. Und immer heißt's: Sie sind ein echter Künstler, Henry. Sie sind nicht dazu bestimmt, Ihr Leben lang Gewächshäuser zu bauen. Brechen

Weitere Kostenlose Bücher