12 - Wer die Wahrheit sucht
bewegten, der von seinem heimatlichen Frankreich herüberwehte. Sie war allein in den an einen sanften Hang geschmiegten Candie Gardens, zu denen sie vom Hotel am Ann's Place heraufgelaufen war. Sie hatte schlecht geschlafen, die intensive Wahrnehmung der körperlichen Nähe ihres Mannes und ihre zornige Entschlossenheit, im Schlaf nur ja nicht zu ihm hinüberzurollen, hatten sie wach gehalten. Sie war vor Morgengrauen aufgestanden und gegangen, um einen Spaziergang zu machen.
Nach dem Streit mit Simon am vergangenen Abend war sie ins Hotel zurückgekehrt. Aber dort hatte sie sich wie ein schuldgeplagtes Kind gefühlt. Wütend auf sich selbst, dass sie auch nur den kleinsten Funken Reue zuließ, obwohl sie wusste, dass sie nichts falsch gemacht hatte, war sie bald wieder gegangen und erst nach Mitternacht zurückgekommen, als sie relativ sicher sein konnte, dass Simon schon schlafen würde.
Sie hatte China besucht. »Simon benimmt sich unmöglich«, sagte sie.
»Ist das nicht die Definition Mann?« China zog Deborah in die Wohnung. Sie kochten zusammen Pasta, China am Herd, Deborah an die Spüle gelehnt. »Erzähl«, sagte China heiter. »Tante China steht schon mit den Heftpflastern bereit.«
»Dieser blöde Ring«, sagte Deborah. »Er hat sich wahnsinnig darüber aufgeregt.« Sie erzählte die ganze Geschichte, während China Tomatensoße aus dem Glas in einen Topf goss und zu rühren begann. »Als hätte ich das schlimmste Verbrechen begangen«, schloss sie.
»Das Ganze war blöd«, sagte China, als Deborah zum Ende gekommen war. »Ich meine, dass ich den Ring überhaupt gekauft habe. Es war völlig unüberlegt.« Sie nickte zu Deborah hin. »So was würdest du nie tun.« »Simon scheint der Ansicht zu sein, dass es reichlich unüberlegt von mir war, den Ring hierher zu bringen.«
»So, so.« China starrte einen Moment in die brodelnde Pasta, ehe sie sachlich sagte: »Na ja. Dann kann ich verstehen, warum er nicht gerade darauf brennt, mich kennen zu lernen.«
»Ach, das ist es nicht«, protestierte Deborah hastig. »Du darfst nicht... Du wirst ihn schon kennen lernen. Er kann es kaum erwarten, da er ja im Lauf der Jahre so viel von dir gehört hat.«
»Ach ja?« China blickte auf und sah sie ruhig an. Deborah wurde heiß unter diesem Blick. China sagte: »Ist schon okay. Du warst mit deinem Leben beschäftigt, das ist in Ordnung. Kalifornien waren ja nicht deine drei schönsten Jahre. Ich kann verstehen, dass du nicht gern an die Zeit erinnert wirst. Und wenn du Kontakt gehalten hättest... das wäre auch Erinnerung gewesen, nicht? Außerdem läuft das manchmal so mit Freundschaften. Eine Zeit lang ist man sich nahe und dann nicht mehr. Die Verhältnisse ändern sich. Die Bedürfnisse ändern sich. Das Leben geht weiter. Trotzdem hast du mir gefehlt.«
»Wir hätten in Verbindung bleiben müssen«, sagte Deborah.
»Das ist schwierig, wenn der eine nicht schreibt. Oder mal anruft. Oder irgendwas.« China sah sie mit einem Lächeln an. Aber es steckte Trauer dahinter, und Deborah fühlte sie.
»Es tut mir Leid, China. Ich weiß nicht, warum ich nicht geschrieben habe. Ich wollte ja, aber die Zeit verging, und dann... Ich hätte schreiben sollen. Mailen. Anrufen.«
»Trommeln.«
»Egal, was. Du musst dich - ich weiß nicht -, du hast wahrscheinlich geglaubt, ich hätte dich vergessen. Aber ich habe dich nie vergessen. Wie auch, nach allem, was gewesen ist.«
»Na ja, die Hochzeitsanzeige habe ich ja bekommen.« Aber keine Einladung, schwang unausgesprochen mit.
Deborah hörte es und versuchte, zu erklären. »Ich dachte, du würdest es merkwürdig finden. Nach Tommy. Nach allem, was passiert ist, heirate ich Knall auf Fall einen anderen. Ich wusste einfach nicht, wie ich es erklären soll.«
»Hast du gedacht, du wärst mir eine Erklärung schuldig? Warum?«
»Na ja, es sah so...« Deborah wünschte sich ein passendes Wort, um zu beschreiben, wie ihr Wechsel von Tommy Lynley zu Simon St. James ihrer Meinung nach auf jemanden gewirkt haben könnte, der nicht die ganze Geschichte ihrer Liebe zu Simon und ihrer Trennung von ihm kannte. Als sie damals in Amerika gewesen war, war es zu schmerzlich gewesen, darüber zu sprechen. Dann war Tommy gekommen und hatte eine Lücke gefüllt, von deren Existenz selbst er zu jener Zeit nichts geahnt hatte. Es war alles viel zu kompliziert. Vielleicht hatte sie China darum einfach zu einem Teil einer amerikanischen Episode gemacht, zu der auch Tommy gehörte und die
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