12 - Wer die Wahrheit sucht
in die Vergangenheit verbannt werden musste, als die Zeit mit Tommy vorbei gewesen war.
»Ich habe nie viel von Simon gesprochen, nicht?«
»Du hast nicht mal seinen Namen erwähnt. Du hast immer auf Post gewartet, und jedes Mal, wenn das Telefon geklingelt hat, hast du ein Gesicht gemacht wie ein begieriges kleines Hündchen. Wenn dann der Brief, auf den du gewartet hast, nicht kam, und der Anruf auch nicht, bist du ein paar Stunden lang verschwunden. Ich dachte mir, dass daheim in England jemand ist, den du vergessen willst, aber ich wollte nicht fragen. Ich dachte, du würdest es mir selbst erzählen, wenn du so weit bist. Aber du hast es nie getan.« China kippte die Nudeln in ein Sieb. Eine Dampfwolke stieg hinter ihr in die Höhe, als sie sich herumdrehte. »Wir hätten das miteinander teilen können«, sagte sie. »Schade, dass dein Vertrauen zu mir dafür nicht gereicht hat.«
»Aber so war es nicht. Überleg doch mal, was darauf alles passiert ist. Ist das kein Beweis dafür, dass ich dir vollkommen vertraut habe?«
»Ja, klar, der Abbruch. Aber das war was Körperliches. Emotional hast du dich nie jemandem anvertraut. Nicht mal, als du Simon geheiratet hast. Nicht mal jetzt, wo du Ärger mit ihm hast. Aber eine Freundin ist jemand, der man sich mitteilt, kein Gebrauchsgegenstand, den man benutzt wie ein Kleenex, wenn man mal schnauzen muss.«
»Glaubst du denn, dass ich dich so gesehen habe? Dass ich dich jetzt so sehe?«
China zuckte mit den Schultern und machte ein resigniertes Gesicht. »Nein, wahrscheinlich nicht.«
Während Deborah jetzt in den Candie Gardens saß, dachte sie über den Abend mit China nach. Cherokee hatte sich nicht blicken lassen, solange sie da gewesen war - »er wollte ins Kino, aber wahrscheinlich sitzt er in irgendeiner Kneipe und baggert eine Frau an« -, es hatte also keine Ablenkung gegeben, keine Entschuldigung, die Augen davor zu verschließen, was aus ihrer Freundschaft geworden war.
Sie hatten sich hier in Guernsey in einer veränderten Rollenverteilung wieder getroffen, und das schuf Unsicherheit zwischen ihnen. China, lange Zeit in ihrer Beziehung die Sorgende, unermüdlich um die Fremde bemüht, die mit den Verletzungen einer uneingestandenen Liebe nach Kalifornien gekommen war, war durch die Umstände in die Rolle der vom Wohlwollen anderer abhängigen Bittstellerin gedrängt worden. Deborah, ursprünglich die Empfängerin von Chinas Fürsorge, war in die Rolle der Helferin geschlüpft. Diese Änderung des früher gewohnten Umgangs miteinander, war eine Irritation, die sie empfindlich machte, empfindlicher vielleicht, als sie es gewesen wären, hätte nur die durch die Jahre des Schweigens verursachte Verletzung zwischen ihnen gestanden. Sie wussten beide nicht so recht, wie sie sich verhalten sollten. Aber Deborah war überzeugt, dass sie im Herzen das Gleiche fühlten, auch wenn ihr Bemühen, es auszudrücken, noch so ungeschickt war. Jeder von ihnen lag das Wohl der anderen am Herzen, und beide waren sie vorsichtig. Sie waren im Begriff, sich aneinander heranzutasten, um einen Weg nach vorn zu finden, der aus der Vergangenheit herausführen würde.
Als Deborah von der Bank aufstand, fiel milchiges Licht auf den Fußweg. Sie folgte ihm zwischen Rasenflächen und Buschwerk hindurch und umrundete einen Weiher, in dem Goldfische schwammen, zarte Miniaturausgaben der Fische im japanischen Garten von Le Reposoir.
Draußen auf der Straße hatte der morgendliche Berufsverkehr begonnen, rundherum eilten die Menschen ins Stadtzentrum. Die meisten überquerten die Straße zum St. Ann's Place. Deborah folgte ihnen den sanften Bogen entlang, in dem das Hotel sichtbar wurde.
Gegenüber, an der niedrigen Mauer des kleinen Parks, sah sie Cherokee stehen. Er aß irgendetwas aus einer Papierserviette und hielt einen dampfenden Pappbecher in der Hand. Mit gespannter Aufmerksamkeit beobachtete er unverwandt das Hotel.
Sie trat zu ihm. Er bemerkte sie nicht und zuckte zusammen, als sie ihn ansprach. Dann lachte er. »Es funktioniert tatsächlich«, sagte er. »Ich habe dir dauernd telepathische Botschaften gesandt, dass du rauskommen sollst.«
»Telefonische wirken im Allgemeinen besser«, erwiderte sie. »Was isst du da?«
»Schokocroissant. Magst du was?« Er hielt es ihr hin.
Sie nahm seine Hand in die ihre und hielt sie fest. »Und ganz frisch. Köstlich.« Sie kaute.
Er bot ihr den nach Kaffee duftenden Becher an. Sie trank. Er lächelte.
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