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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Blicks. Und am Ende standen die Gründe, darauf zu warten, um den Geliebten zu sehen und selbst gesehen und begehrt zu werden.
    Wie hatte es nur so weit kommen können? fragte sie sich. Wohin würde es noch führen, wenn keiner anfing zu reden?
    Sie hatte nie überzeugend lügen können. Vor die Frage gestellt, musste sie sie entweder ignorieren, sich entziehen und so tun, als verstünde sie sie nicht, oder die Wahrheit sagen. Dem anderen dreist ins Gesicht zu blicken und ihn bewusst in die Irre zu führen, überstieg ihre dürftigen schauspielerischen Fähigkeiten. Bei der Frage: »Was weißt du darüber, Val?«, konnte sie nur flüchten oder sprechen.
    Sie war sich dessen, was sie am Morgen des Todes von Guy Brouard vom Fenster aus gesehen hatte, absolut sicher gewesen und sie war sich immer noch sicher, weil es mit Guy Brouards Lebensgewohnheiten völlig übereinzustimmen schien: der frühmorgendliche Gang am Haus vorbei, wenn er auf dem Weg zur Bucht war, wo er jeden Tag seine Schwimmübungen inszenierte, die ihm weniger dazu dienten, sich zu trainieren, als sich seiner Spannkraft und Männlichkeit zu vergewissern, die nun doch allmählich vom Alter aufgezehrt wurden. Und Augenblicke später, die Gestalt, die ihm folgte. Valerie war sich sicher, wer diese Gestalt gewesen war; sie hatte beobachtet, wie Guy Brouard sich der Amerikanerin gegenüber verhielt - charmant und bezaubert, auf diese besondere Art, halb altmodische Galanterie, halb moderne Formlosigkeit -, und sie wusste, was für Gefühle er bei einer Frau wecken und wozu er sie mit seiner Art bringen konnte.
    Aber bis zum Mord? Das war das Problem. Sie konnte ohne weiteres glauben, dass China River ihm zur Bucht gefolgt war, wahrscheinlich zu einem heimlichen Stelldichein, das vorher abgesprochen war. Sie konnte ohne weiteres glauben, dass sich eine Menge - wenn nicht alles - vor diesem Morgen zwischen ihnen abgespielt hatte. Aber sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass die Amerikanerin Guy Brouard getötet hatte. Den Mann zu töten - zumal auf die Art, wie dieser Mann getötet worden war -, das war nicht Frauenart. Frauen töteten ihre Rivalinnen, nicht den Mann.
    So gesehen war China River diejenige, die in Gefahr gewesen war. Anaïs Abbott war sicher nicht erfreut gewesen, mit anzusehen, wie ihr Liebhaber neben ihr noch einer anderen Frau seine Aufmerksamkeit schenkte. Und gab es vielleicht noch andere Leute, fragte sich Valerie, die die beiden - China River und Guy Brouard - beobachtet und das schnelle Einverständnis zwischen ihnen als Zeichen einer sich anbahnenden Beziehung interpretiert hatten? Die in China River nicht einfach eine Fremde gesehen hatten, die ein paar Tage in Le Reposoir bleiben und dann weiterziehen wollte, sondern eine Bedrohung ihrer Zukunftspläne, die bis zum Tag von China Rivers Ankunft in Guernsey der Verwirklichung so nahe schienen. Aber wenn das zutraf, warum dann Guy Brouard töten?
    Geh ran, geh ran, flehte Valerie das Telefon an. Und dann: »Val, was tut die Polizei hier?«
    Valerie ließ den Hörer auf ihren Schoß fallen und fuhr herum. Kevin stand an der Schlafzimmertür, das Hemd halb aufgeknöpft, als sei er mit der Absicht heraufgekommen, sich umzuziehen. Flüchtig fragte sie sich, warum - hängt ihr Geruch in deinen Kleidern, Kev? -, dann sah sie, dass er ein wärmeres Kleidungsstück aus dem Schrank nahm: einen dicken wollenen Pulli für die Arbeit draußen.
    Kevins Blick fiel auf das Telefon auf ihrem Schoß. Er sah sie an. Schwach war aus dem Hörer der Signalton zu hören. Valerie nahm den Hörer und legte ihn auf. Sie spürte, was sie bisher nicht bemerkt hatte: stechende Schmerzen in den Fingergelenken. Sie bewegte die Finger und verzog vor Schmerz das Gesicht.
    »Schlimm?«, fragte Kevin.
    »Es kommt und geht.«
    »Wolltest du den Arzt anrufen?«
    »Ach, das ändert doch auch nichts. Der sagt immer nur, mir fehlt nichts. Sie haben keine Arthritis, Mrs. Duffy. Und die Tabletten, die er mir verschrieben hat - das ist wahrscheinlich nichts als Zucker, Kev, um mich zu beruhigen. Aber die Schmerzen sind echt. Es gibt Tage, da kann ich meine Finger kaum bewegen.«
    »Dann einen anderen Arzt?«
    »Ich habe Probleme, jemanden zu finden, dem ich vertraue.« Wie wahr, dachte sie. Von wem hatte sie so viel Argwohn und Zweifel gelernt?
    »Ich meinte, das Telefon«, sagte Kevin und zog sich den grauen Wollpulli über den Kopf. »Wolltest du einen anderen Arzt anrufen? Wenn die Schmerzen schlimmer geworden sind,

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