12 - Wer die Wahrheit sucht
unverschlossene Tür nachdachte, eine Möglichkeit für jeden, der ihrem Bruder Böses wollte, zu kommen und zu gehen, wie es ihm beliebte.
Nun, besser er dachte darüber nach, als über den Tod der unschuldigen Enten. Sie glaubte nicht einen Augenblick, dass ein unbekannter Eindringling für den Tod ihres Bruders verantwortlich war, aber sollte der Mann sich ruhig seine Gedanken machen, wenn ihn das davon abhielt, sich mit Adrian zu beschäftigen.
Er sagte: »Ich habe vorhin mit Mrs. Duffy gesprochen. Sie waren in der Stadt?«
»Beim Anwalt meines Bruders«, antwortete Ruth. »Und bei seinem Anlageberater und seiner Bank.«
Sie führte ihn ins Damenzimmer. Valerie war, wie sie sah, schon hier gewesen. Die Vorhänge waren zurückgezogen, so dass das milchige Dezemberlicht ins Zimmer hereinfiel, und das Gasfeuer brannte, um die Kühle zu vertreiben. Auf dem Beistelltisch neben dem Sofa stand eine Karaffe mit Kaffee und eine Tasse mit Untertasse daneben. Ihr Stickkasten war offen, zur Weiterarbeit am neuen Bild bereit, und die Post lag in einem Stapel auf ihrem Sekretär.
Alles im Zimmer schien so, als wäre es ein ganz normaler Tag. Aber so war es nicht. Einen ganz normalen Tag würde es nie wieder geben.
Der Gedanke bewog Ruth zu sprechen. Sie berichtete St. James, was sie in St. Peter Port erfahren hatte. Sie ließ sich aufs Sofa sinken, während sie sprach, und wies ihn zu einem der Sessel. Er hörte ihr schweigend zu, und als sie fertig war, war er mit einem Arsenal von Erklärungen zur Hand. Die meisten hatte sie sich auf der Heimfahrt selbst schon überlegt. Wie auch nicht, da doch am Ende der Spur, die Guy mit seinem Verhalten gelegt zu haben schien, der Tod gewartet hatte?
»Das lässt natürlich an Erpressung denken«, sagte St. James. »Ein solcher Verlust von Geld bei einer stetigen Steigerung der Beträge...«
»Es gab in seinem Leben nichts, womit man ihn hätte erpressen können.«
»Das mag auf den ersten Blick so scheinen. Aber er hatte Geheimnisse, Miss Brouard. Das wissen wir durch die Reise nach Amerika, von der Sie keine Ahnung hatten, nicht wahr?«
»Aber er hatte kein Geheimnis, das diese Geldgeschichte notwendig gemacht hätte. Es gibt eine einfach Erklärung für das, was er mit dem Geld getan hat, eine, die völlig einwandfrei ist. Wir kennen sie nur noch nicht.« Sie glaubte sich selbst nicht, und an St. James' skeptischer Miene sah sie, dass auch er ihr nicht glaubte.
Er sagte - und sie merkte, dass er sich bemühte, taktvoll zu sein: »Ich denke, Sie wissen, dass diese finanziellen Transaktionen wahrscheinlich nicht legal waren.«
»Nein, das weiß ich nicht -«
»Und wenn Sie seinen Mörder finden wollen - und ich glaube, das wollen Sie -, müssen alle Möglichkeiten bedacht werden, das wissen Sie auch.«
Sie sagte nichts. Aber ihre innere Qual wurde durch das Mitleid in seinem Gesicht noch verschlimmert. Sie hasste das Mitleid anderer. Sie hatte es immer gehasst. Arme kleine Seele, hat ihre ganze Familie unter den Nazis verloren. Wir müssen nachsichtig sein. Wir müssen ihr ihre kleinen Anfälle von Angst und Kummer lassen.
»Wir haben seine Mörderin«, erklärte Ruth mit steinerner Miene. »Ich habe sie an dem Morgen gesehen. Wir wissen, wer sie ist.«
St. James verfolgte seinen eigenen Gedankengang, als hätte sie nichts gesagt. »Vielleicht hat er eine Art Lösegeld bezahlt. Oder einen riesigen Kauf getätigt. Vielleicht sogar einen illegalen Kauf. Waffen? Drogen? Sprengstoff?«
»Absurd«, sagte sie. »Wenn er eine Sache unterstützte -«
»Die Araber? Die Algerier? Die Palästinenser? Die Iren?«, zählte sie verächtlich auf. »Mein Bruder war politisch so interessiert wie ein Gartenzwerg, Mr. St. James.«
»Dann bleibt nur der Schluss, dass er das Geld im Lauf der Zeit jemandem geschenkt hat. In dem Fall müssen wir uns die möglichen Empfänger eines solchen Batzen Geldes ansehen.« Er blickte zur Tür, als überlegte er, was sich dahinter befand. »Wo ist Ihr Neffe heute Morgen, Miss Brouard?«
»Das hat mit Adrian nichts zu tun.«
»Trotzdem...«
»Ich nehme an, er fährt seine Mutter herum. Sie kennt die Insel nicht. Die Straßen sind schlecht gekennzeichnet, da braucht sie seine Hilfe.«
»Er war also häufig zu Besuch bei seinem Vater? Im Verlauf der Jahre. Er kennt sich -«
»Es geht hier nicht um Adrian!« Ihre Stimme klang schrill, sie hörte es selbst. Ihre Knochen schmerzten wie von hundert Dornen durchbohrt. Sie musste diesen Mann loswerden,
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