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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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gekommen, weil ich Angst hatte, dass ich mich falsch entscheiden und es hinterher bereuen würde. Ich fragte meine Mutter, und sie sagte, es gibt keine falsche Entscheidung. Es gibt nur die Entscheidung und was wir aus ihr lernen.« Deborah lächelte bei der Erinnerung. »Zu diesem Moment würde ich zurückkehren und von da an noch einmal weiterleben, wenn ich könnte. Nur würde sie diesmal nicht sterben.«
    »Und was hast du schließlich getan?«, fragte Cherokee. »Bist du aufs Pony gestiegen?«
    Deborah überlegte. »Ist das nicht merkwürdig? Ich kann mich nicht erinnern. Wahrscheinlich war mir das Pony gar nicht so wichtig, selbst damals nicht. Das, was meine Mutter zu mir gesagt hat, das war wichtig. Wie sie war.«
    »Glück«, sagte China.
    »Ja«, antwortete Deborah.
    Draußen klopfte es, gleich darauf wurde mit Nachruck geklingelt. Cherokee ging zur Tür und machte auf.
    Zwei uniformierte Polizeibeamte standen vor ihm. Der eine schaute sich so nervös um, als prüfte er die Möglichkeiten eines Hinterhalts, der andere hielt einen Schlagstock, mit dem er leicht auf seine Hand schlug.
    »Mr. Cherokee River?«, sagte der mit dem Schlagstock. Er schien genau zu wissen, wen er vor sich hatte, denn er wartete nicht auf eine Antwort. »Wir müssen Sie bitten, mitzukommen, Sir.«
    »Was?«, fragte Cherokee. »Wohin denn?«
    China sprang auf. »Cherokee? Was...?« Aber sie sprach die Frage nicht aus.
    Deborah ging zu ihr und legte ihr den Arm um die Taille.
    »Bitte«, sagte sie. »Was hat das zu bedeuten?«
    Woraufhin Cherokee River von den Beamten der Polizei von Guernsey in aller Form auf seine Rechte hingewiesen wurde.
    Sie hatten Handschellen mitgebracht, aber sie benutzten sie nicht. Einer von ihnen sagte: »Wenn Sie bitte mitkommen würden, Sir.«
    Der andere nahm Cherokee beim Arm und führte ihn ab.

20
    In den Lagerhäusern bei der Wassermühle hatte Frank auf gute Beleuchtung keinen Wert gelegt, weil er dort selten am Spätnachmittag oder abends arbeitete. Aber er brauchte nicht viel Licht, um zu finden, was er unter den Papieren im Aktenschrank suchte. Er wusste, wo das Schriftstück lag, und das Entsetzliche war, dass er auch wusste, was es bedeutete.
    Er zog es heraus. Ein steifer brauner Hefter umschloss es wie eine glatte Haut. Der Umschlag darin jedoch war zerknittert, mit abgeknickten Ecken, und hatte längst seine kleine Metallklammer verloren.
    In den letzten Kriegstagen hatten die Besatzer auf der Insel eine Überheblichkeit an den Tag gelegt, die angesichts der Niederlagen, die das deutsche Militär an allen Fronten hinnehmen musste, höchst erstaunlich war. Sie hatten anfangs sogar die Kapitulation abgelehnt, weil sie nicht glauben wollten, dass ihre Pläne zur Unterwerfung Europas gescheitert waren. Erst einen Tag nachdem im übrigen Europa der Sieg ausgerufen worden war, begab sich Generalmajor Heine endlich an Bord der HMS Bulldog, um die Bedingungen zur Übergabe der Insel auszuhandeln.
    Die Deutschen, die zu erhalten versuchten, was sie noch hatten, und vielleicht, wie alle, die seit Urzeiten auf der Insel gelandet waren, eine Spur hinterlassen wollten, hatten nicht alles zerstört, was sie geschaffen hatten. Einiges aus ihrer Hinterlassenschaft - wie Geschützstellungen - widersetzte sich dem Abbruch, anderes - wie das Schriftstück, das Frank in den Händen hielt - diente als stumme Botschaft, dass es Inselbewohner gegeben hatte, deren Eigennützigkeit stärker gewesen war als ihr Gemeinschaftsgefühl und deren Verhalten infolgedessen suggerierte, sie hätten sich der Sache der Deutschen aus Überzeugung verschrieben. Dass das nicht zutraf, hatte die Besatzer vermutlich wenig gekümmert. Was zählte, war die Wirkung, ein solches eklatantes Zeugnis des Verrats vorweisen zu können: Schwarz auf Weiß in krakeliger Handschrift.
    Franks Fluch war sein Respekt vor der Geschichte, der ihn dazu getrieben hatte, dieses Fach zu studieren, um sich danach beinahe dreißig Jahre lang als Lehrer zu bemühen, es vor allem uninteressierten Halbwüchsigen nahe zu bringen. Sein Vater hatte ihn diesen Respekt gelehrt. Und dieser Respekt hatte ihn bewogen, eine Sammlung anzuhäufen, von der er gehofft hatte, sie würde auch dann noch, wenn er längst nicht mehr da war, die Erinnerung wach halten.
    Er hatte stets an die Wahrheit des Wortes geglaubt, dass man sich der Vergangenheit erinnern muss, wenn man nicht dazu verdammt werden will, sie zu wiederholen. In den bewaffneten Auseinandersetzungen überall

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