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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Erwartungen an mich selbst genauso überzogen sind?«
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja, vielleicht bin ich ja hier die Naive. Das ist die Frage, die ich mir den ganzen Abend gestellt habe. Kann es sein, dass die anderen mir nur nach dem Mund reden? Deine Familie, zum Beispiel. Unsere Freunde. Mr. Hobart. Kann es sein, dass sie meine Bilder nur über sich ergehen lassen? Sehr hübsch, Madam, ja, wir stellen sie in unserer Galerie aus, im Monat Dezember richten sie ja kaum Schaden an, da sind ohnehin alle so sehr mit Weihnachtseinkäufen beschäftigt, dass sie für Kunstausstellungen keinen Sinn haben. Außerdem brauchen wir in dieser Zeit, in der natürlich kein Mensch ausstellen will, irgendwas für unsere Wände. Könnte es so sein?«
    »Das ist eine Beleidigung für alle. Für die Familie und für deine Freunde. Auch für mich, Deborah.«
    Die Tränen, die sie bis dahin zurückgehalten hatte, begannen zu fließen. Sie drückte die Faust auf den Mund, als wüsste sie genau, wie kindisch ihre Reaktion auf den enttäuschenden Abend war. Aber er wusste, dass sie nicht anders konnte. Deborah war nun einmal Deborah.
    »Sie ist ein wahnsinniges Sensibelchen, nicht wahr, mein Junge?«, hatte seine Mutter einmal bemerkt und dazu ein Gesicht gemacht, als hielte sie die Nähe zu Deborahs Emotionen für ebenso bedenklich wie den Kontakt zu einer Tuberkulosekranken.
    »Ich brauche das«, sagte Deborah zu ihm. »Und wenn ich es nicht bekommen soll, dann will ich es wissen. Denn irgendetwas brauche ich einfach. Kannst du das verstehen?«
    Nun ging er doch zu ihr und nahm sie in die Arme. Er wusste, dass ihre Tränen nur entfernt dem deprimierenden Abend in der Little Newport Street galten. Er hätte ihr gern gesagt, dass das alles überhaupt keine Rolle spiele, aber er wollte nicht lügen. Er hätte ihr den Kampf gern abgenommen, aber er hatte seinen eigenen Kampf auszufechten. Er hätte ihnen beiden gern das gemeinsame Leben erleichtert, aber das stand nicht in seiner Macht.
    Er drückte ihren Kopf an seine Schulter. »Mir brauchst du nichts zu beweisen«, sagte er, den Mund an ihrem weichen kupferroten Haar.
    »Ach, wenn alles so leicht wäre, wie das zu wissen«, antwortete sie.
    Er wollte gerade sagen, es sei so leicht, wie jeden einzelnen Tag zu leben, anstatt den Blick in eine Zukunft zu richten, die sie beide nicht kannten, als es an der Tür klingelte, so anhaltend und laut, als lehnte sich jemand auf die Klingel.
    Deborah trat von ihm weg. Den Blick zur Tür gewandt, wischte sie sich das Gesicht ab. »Tommy und Helen müssen etwas vergessen haben... Haben sie etwas liegen lassen?« Sie sah sich im Zimmer um.
    »Ich glaube nicht.«
    Es klingelte immer noch ohne Pause. Als sie ins Vestibül hinausgingen, kam Peach, der Dackel, aufgeregt kläffend aus der Küche im Souterrain heraufgeschossen. Deborah packte ihn und nahm ihn auf den Arm, obwohl er wie verrückt strampelte.
    St. James öffnete die Tür. Er sagte: »Habt ihr es euch -« und brach ab, als er sah, dass weder Thomas Lynley noch seine Frau draußen standen, sondern ein Mann in einer dunklen Jacke - mit klatschnassem Haar und durchweichter Jeans, die ihm an den Schenkeln klebte -, der im Schatten des Hauses mit eingezogenem Kopf am Eisengeländer der obersten Treppenstufe lehnte.
    Der Mann sah blinzelnd ins Licht und sagte zu St. James: »Sind Sie -« Er hielt inne, als sein Blick auf Deborah fiel, die mit dem Hund im Arm hinter ihrem Mann stand. »Gott sei Dank«, sagte er. »Ich glaub, ich bin ungefähr zehnmal im Kreis gefahren. Ich hab am Victoria-Bahnhof die Untergrundbahn genommen, aber in die falsche Richtung, und hab's erst gemerkt, als... dann war der Stadtplan total durchnässt. Dann hat ihn mir der Wind weggeweht. Dann hab ich die Adresse verloren. Aber jetzt - Gott sei Dank...«
    Damit trat er ins Licht und sagte nur: »Debs! Es ist echt ein Wunder. Ich dachte schon, ich würde dich nie finden.«
    Debs. Deborah traute ihren Ohren nicht. Mit einem Schlag war alles wieder da: die Zeit, der Ort, die Menschen. Sie setzte Peach auf den Boden und trat neben ihren Mann an die Tür, um besser sehen zu können. »Simon!«, rief sie. »Mein Gott! Ich kann nicht glauben -« Aber anstatt ihren Gedanken zu vollenden, suchte sie Gewissheit. Sie zog den Mann auf der Treppe ins Haus und sagte: »Cherokee?« Wie war es möglich, dass da unversehens der Bruder ihrer alten Freundin vor ihrer Tür stand? Aber er war es wirklich, es gab keinen Zweifel, und als ihr das klar

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