12 - Wer die Wahrheit sucht
wurde, rief sie: »Simon! Es ist Cherokee River.«
Simon schien verblüfft. Er schloss die Tür. Peach näherte sich vorsichtig dem Fremden und beschnüffelte seine Schuhe. Offenbar gefiel ihm nicht, was er dort zu riechen bekam. Er wich zurück und begann zu bellen.
»Hör auf, Peach«, sagte Deborah. »Das ist ein Freund.«
Woraufhin Simon sagte: »Wer...?«, den Hund hochnahm und ihn beruhigte.
»Cherokee River«, wiederholte Deborah. »Das ist doch richtig?«, wandte sie sich an den Mann. Sie war zwar ziemlich sicher, dass er es war, aber seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, waren immerhin an die sechs Jahre vergangen, und selbst in der Zeit ihrer Bekanntschaft war sie ihm nur etwa sechs-, siebenmal begegnet. Trotzdem sagte sie jetzt, ohne auf eine Antwort von ihm zu warten: »Komm mit ins Arbeitszimmer. Im Kamin brennt ein Feuer. Mein Gott, du bist ja völlig durchnässt. Was hast du für eine Verletzung am Kopf? Was tust du überhaupt hier?«
Sie führte ihn zu der Ottomane vor dem Feuer und nahm ihm seine Jacke ab. Die war früher vielleicht einmal wasserabweisend gewesen, jetzt aber tropfte das Wasser aus sämtlichen Fasern. Sie warf sie auf die Kaminplatte, wo Peach sie sofort inspizierte.
Simon sagte fragend: »Cherokee River?«
»Chinas Bruder«, erklärte Deborah.
Simon sah den Mann an, der zu frösteln begonnen hatte. »Aus Kalifornien?«
»Richtig. China. Aus Santa Barbara. Cherokee, was - komm, setz dich. Setz dich ans Feuer. Simon, haben wir irgendwo eine Decke? Und ein Handtuch?«
»Ich seh mal nach.« »Aber mach schnell!«, drängte Deborah, als sie sah, dass es Cherokee vor Kälte schüttelte. Sein Gesicht war so weiß, dass es einen bläulichen Schimmer hatte, und seine Unterlippe blutete aus einer kleinen Bisswunde. Dazu hatte er die Verletzung an der Schläfe, die Deborah sich näher ansah. »Da muss ein Pflaster drauf«, sagte sie. »Was ist passiert, Cherokee? Du bist doch hoffentlich nicht überfallen worden?« Dann: »Nein, sag nichts. Erst wärmen wir dich mal auf.«
Sie eilte zu dem alten Barwagen, der unter dem Fenster zur Cheyne Row stand, und goss einen doppelten Brandy ein, den sie Cherokee brachte.
Cherokee hob das Glas zum Mund, aber seine Hände zitterten so stark, dass das Glas klappernd gegen seine Zähne schlug und der größte Teil des Brandys sich über sein ohnehin schon nasses T-Shirt ergoss.
»Mist«, sagte er. »Tut mir Leid, Debs.«
Seine Stimme, sein Zustand oder die Unsicherheit beim Trinken schienen Peach nicht zu gefallen. Der kleine Dackel hielt in seiner Inspektion von Cherokees Jacke inne und begann wieder zu kläffen.
Deborah versuchte, den Hund zu beruhigen, aber er gab erst Ruhe, als sie ihn aus dem Zimmer trug und in die Küche hinunterscheuchte. »Er bildet sich ein, er wäre ein Dobermann«, bemerkte sie ironisch. »Kein Bein ist vor ihm sicher.«
Cherokee lachte leise. Dann packte ihn ein so gewaltiger Schüttelfrost, dass ihm beinahe das Glas aus der Hand gefallen wäre. Deborah setzte sich zu ihm und legte ihm den Arm um die Schultern. »Tut mir Leid«, sagte er wieder. »Ich hab die totale Panik gekriegt.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«
»Ich bin im Regen herumgeirrt und drüben, beim Fluss, voll gegen den Ast von irgendeinem Baum gerannt. Ich dachte, es hätte aufgehört zu bluten.«
»Trink den Brandy«, sagte Deborah. Sie war erleichtert, zu hören, dass ihm nichts Schlimmeres passiert war. »Dann verarzte ich deinen Kopf.«
»Ist es schlimm?«
»Nur eine Platzwunde. Aber sie muss versorgt werden. Warte.« Mit einem Papiertuch, das sie aus ihrer Tasche zog, tupfte sie das Blut ab. »Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du hier bist. Was tust du denn in London?«
Die Tür öffnete sich, und Simon kehrte mit einem Handtuch und einer Decke zurück. Deborah nahm ihm beides ab, legte die Decke um Cherokees Schultern und frottierte ihm mit dem Handtuch das Haar. Es war nur wenig kürzer als damals, als Deborah mit seiner Schwester in Santa Barbara zusammengewohnt hatte, und noch genauso dicht und lockig; ganz anders als das Chinas, so wie auch sein sehr sinnlich wirkendes Gesicht mit den schwerlidrigen Augen und den vollen Lippen, um die ihn zweifellos manche Frau beneidete, ganz anders war als das seiner Schwester. Er habe sämtliche Lockgene geerbt, hatte China River oft über ihren Bruder gesagt, während für sie nur asketische Schlichtheit übrig geblieben sei.
»Ich habe zuerst versucht, dich
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