12 - Wer die Wahrheit sucht
zusteht. Deshalb musste dein Vater ausgeschaltet werden.«
»Er hatte keinerlei Absicht irgendwas zu ändern«, erwiderte Adrian.
»Hör endlich auf! Woher willst du wissen -«
»Weil ich ihn darum gebeten habe, okay?« Adrian schob die Hände in die Jackentaschen und sah aus wie ein Häufchen Elend. »Ich habe ihn gefragt«, wiederholte er. »Und sie war dabei. Tante Ruth. Sie war mit im Zimmer. Sie hat uns gehört. Sie hat gehört, wie ich ihn gebeten habe.«
»Sein Testament zu ändern?«
»Mir Geld zu geben. Sie hat alles mitbekommen. Ich habe ihn um das Geld gebeten. Er sagte, er hätte es nicht. Nicht so einen Betrag. Ich glaubte ihm nicht. Es gab Streit. Ich bin schließlich wütend gegangen, und er blieb.« Erst jetzt sah er sie an, Resignation im Gesicht. »Du glaubst doch nicht, dass die beiden nicht hinterher alles durchgekaut haben? Sie wird gesagt haben: Was sollen wir mit Adrian machen? Und er wird gesagt haben: Wir lassen alles, wie es ist.«
Margaret hörte ihm zu und fühlte sich wie von einem kalten Sturm erfasst. »Du hast deinen Vater noch einmal um Geld gebeten?«, sagte sie. »Nach dem September? Du hast ihn nach dem September ein zweites Mal gebeten?«
»Richtig. Und er hat nein gesagt.«
»Wann war das?«
»Am Abend vor dem Fest.«
»Aber du hast mir erzählt, du hättest nicht wieder... seit dem vergangenen September...« Margaret sah, wie er sich erneut von ihr abwandte, den Kopf gesenkt wie so oft bei den unzähligen Enttäuschungen und Niederlagen der Kindheit. Sie wütete gegen die ganze Welt, vor allem aber gegen das Schicksal, das Adrian das Leben so schwer machte. Neben dieser mütterlichen Reaktion jedoch fühlte Margaret noch etwas anderes, das sie nicht fühlen wollte. Und keinesfalls konnte sie riskieren, es beim Namen zu nennen. Sie sagte: »Adrian, du hast mir erzählt...« Im Geist ging sie die Chronologie der Ereignisse durch. Was hatte er gesagt? Dass sein Vater gestorben sei, ehe er Gelegenheit gehabt habe, ihn ein zweites Mal um das Geld zu bitten, das er für die Finanzierung seiner Firma brauchte. Internetzugang, das war es gewesen, die Welle der Zukunft. Eine Welle, die er reiten konnte, um seinen Vater stolz zu machen, einen so weitblickenden Sohn hervorgebracht zu haben. »Du hast gesagt, du hättest bei diesem letzten Besuch keine Gelegenheit gehabt, ihn um das Geld zu bitten.«
»Ich habe gelogen«, sagte Adrian. Er zündete sich eine neue Zigarette an und schaute seine Mutter nicht an.
Margaret wurde der Mund trocken. »Warum?«
Er antwortete nicht.
Am liebsten hätte sie ihn geschüttelt. Sie musste die Antwort erzwingen, denn nur wenn sie die Antwort hatte, würde sie den Rest der Wahrheit aufdecken können. Nur dann würde sie sich ein Bild davon machen können, womit sie es zu tun hatte, und entsprechend handeln können. Aber neben diesem Drang, zu planen, zu entschuldigen, alles zu tun, um ihren Sohn zu schützen, nahm Margaret bei sich noch etwas anderes wahr, das tiefer ging.
Wenn er sie über das Gespräch mit seinem Vater belogen hatte, hatte er sie auch in anderen Dingen belogen.
Nach seinem Gespräch mit Bertrand Debiere kehrte St. James in nachdenklicher Stimmung ins Hotel zurück. Die junge Rezeptionistin am Empfang überreichte ihm eine Nachricht, aber er faltete den Zettel nicht auseinander, als er die Treppe hinauf zu seinem Zimmer ging. Ihn beschäftigte die Frage, was es zu bedeuten hatte, dass Guy Brouard sich beträchtlichen Mühen und Ausgaben unterzogen hatte, um sich einen Satz Baupläne zu besorgen, die anscheinend nicht in Ordnung waren. Hatte er das gewusst, oder war er einem skrupellosen Geschäftsmann in Amerika aufgesessen, der sein Geld genommen und ihm dafür einen Entwurf für ein Gebäude gegeben hatte, das kein Mensch würde bauen können, weil es kein Originalentwurf war? Und was hatte das wiederum zu bedeuten? Dass es kein Originalentwurf war. War es also ein Plagiat? Gab es das bei Bauplänen überhaupt?
Im Zimmer ging er zum Telefon und kramte in seiner Tasche nach den Notizen, die er sich bei Ruth Brouard und Chief Inspector Le Gallez gemacht hatte. Er fand die Nummer für Jim Ward und tippte sie ein, während er seine Gedanken sammelte.
Es war noch früh in Kalifornien, und der Architekt war offenbar gerade erst ins Büro gekommen. Die Frau am Telefon sagte: »Gerade kommt er rein...«, und dann: »Mr. Ward, da will Sie jemand mit einem absolut coolen Akzent sprechen...«, dann wieder ins Telefon: »Von wo
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