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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Behinderung gar nicht«, sagte Deborah. Sie hielt den Blick auf die Straße gerichtet, um China keine Gelegenheit zu geben, ihr die Lüge vom Gesicht abzulesen. »Ah ja. Bist du glücklich mit ihm?«
    »Sehr.«
    »Na dann, du Glückskind.« China wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Karte zu. »Geradeaus über die Kreuzung«, sagte sie unvermittelt, »und an der nächsten Ampel rechts.«
    Sie dirigierte sie zum Nordende der Insel, in ein Gebiet, das nichts mit der Gegend gemein hatte, in der Le Reposoir und St. Peter Port lagen. Die Granitklippen des Südens wichen hier im Norden einer sanften Dünenlandschaft. Statt steiler, bewaldeter Abhänge gab es sandige Strände, und wo Vegetation das Land vor dem Wind schützte, wuchsen auf den Wanderdünen Strandhafer und Winde, dort, wo die Dünen sich verfestigt hatten, gediehen rotes Schwindelgras und Wolfsmilch.
    Ihre Fahrt ging am Südende der Grand-Havre-Bucht entlang, an deren geschütztem Strand kleine Boote überwinterten. Auf der einen Seite dieser Bucht reihten sich die bescheidenen weißen cottages von Le Picquerel an einer Straße, die nach Westen abbog zu den vielen kleinen Buchten des flacheren Küstengebiets von Guernsey. Auf der anderen Seite bog nach links die Straße La Garenne ab. Sie hatte ihren Namen von den Kaninchengehegen, in denen man hier früher diese Tiere gehalten hatte, eine bevorzugte Delikatesse auf der Insel. Sie war nur ein schmaler Asphaltstreifen, der dem östlichen Bogen der Grand-Havre-Bucht folgte.
    Dort, wo La Garenne sich mit der Küstenlinie krümmte, fanden sie Anaïs Abbotts Haus. Es stand auf einem stattlichen Grundstück, von der Straße durch Mauern abgeschirmt, die aus den gleichen grauen Granodioritblöcken errichtet war wie das Haus selbst. Vorne war ein großer Garten, durch den sich ein Fußweg zur Haustür schlängelte, und vor dieser Haustür stand mit verschränkten Armen Anaïs Abbott. Sie unterhielt sich mit einem fast kahlköpfigen Mann mit Aktentasche, der Mühe hatte, seinen Blick oberhalb ihres Dekolletes zu halten.
    Als Deborah den Wagen am Straßenrand dem Haus gegenüber anhielt, tauschten der Mann und Anaïs Abbott gerade einen Händedruck wie zur Besiegelung einer Absprache, dann kam der Mann den mit Steinplatten belegten Weg zwischen Strauchveronika und Lavendel herunter. Anaïs sah ihm von der Haustür aus nach und bemerkte, da sein Wagen direkt vor Deborahs geparkt war, die beiden Frauen, die gerade aus dem Escort stiegen. Ein sichtbarer Ruck ging durch ihren Körper, und der Ausdruck ihres Gesichts - weich und ernsthaft während des Gesprächs mit dem Mann - veränderte sich schlagartig. Die Augen wurden schmal und misstrauisch, als Deborah und China durch den Garten auf sie zukamen.
    Wie schützend fasste sie sich mit einer Hand an den Hals und sagte zu Deborah: »Wer sind Sie?« und: »Wieso sind Sie nicht im Gefängnis? Was hat das zu bedeuten?« zu China. An beide gerichtet waren die Worte: »Was tun Sie hier?«
    »China ist auf freiem Fuß«, sagte Deborah. Sie stellte sich vor und begründete ihren Besuch mit der etwas verschwommenen Erklärung, sie wolle »versuchen, die Dinge zu klären«.
    »Auf freiem Fuß?«, wiederholte Anaïs. »Was heißt das?«
    »Das heißt, dass China unschuldig ist, Mrs. Abbott«, antwortete Deborah. »Sie hat Mr. Brouard nichts angetan.«
    Bei der Erwähnung dieses Namens röteten sich Anaïs Abbotts Augen. Sie sagte: »Ich kann nicht mit Ihnen sprechen. Ich weiß nicht, was Sie hier wollen. Lassen Sie mich in Ruhe.« Sie wollte ins Haus gehen.
    »Warten Sie, Anaïs!«, rief China. »Wir müssen miteinander reden -«
    Anaïs Abbott fuhr herum. »Ich will aber nicht mit Ihnen reden. Ich will Sie nicht sehen. Haben Sie nicht genug angerichtet? Sind Sie immer noch nicht zufrieden?«
    »Wir -«
    »Nein! Ich habe gesehen, wie Sie sich ihm gegenüber benommen haben. Oder dachten Sie, ich hätte es nicht bemerkt? Dann haben Sie sich getäuscht. Ich weiß, was Sie wollten.«
    »Anaïs, er hat mir nur sein Haus und das Gelände gezeigt. Er wollte mir -«
    »Er wollte, er wollte«, äffte Anaïs sie verächtlich nach, aber ihre Stimme zitterte, und sie war nahe daran, in Tränen auszubrechen. »Sie wussten, dass er zu mir gehört. Sie wussten es, Sie haben es gesehen, Sie haben es von jedem gehört, und trotzdem haben Sie es bei ihm versucht. Sie waren entschlossen, ihn zu verführen, und haben jede Minute darauf verwendet -«
    »Ich habe nur fotografiert«, sagte China. »Für

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