12 - Wer die Wahrheit sucht
hol den beschissenen Stock.«
Der Hund kehrte ihm den Rücken.
»Der ist sowieso taub«, sagte Stephen. »Aber er weiß genau, was ich will. Und wenn er weiß, was ihm gut tut, gehorcht er jetzt endlich.« Er schaute sich um, hob einen Stein auf und wog ihn abschätzend in der Hand.
»Hey!«, sagte China. »Das wirst du nicht tun.«
Stephen sah sie an und verzog geringschätzig den Mund. Dann schrie er: »Biscuit! Du blödes Vieh! Spring endlich rein«, und warf den Stein.
Er traf den Hund seitlich am Kopf. Das Tier jaulte auf, sprang auf die Füße und rannte ins Schilf, wo sie es wimmern hörten.
»Ist sowieso nur der Hund von meiner Schwester«, bemerkte Stephen verächtlich. Er wandte sich ab und begann, Steine ins Wasser zu werfen, aber Deborah sah, dass er dem Weinen nahe war.
China trat mit zornigem Gesicht zu ihm hin und zischte: »Du widerlicher kleiner Kotzbrocken«, aber Deborah legte ihr besänftigend die Hand auf den Arm und sagte behutsam: »Stephen...«
Er unterbrach sie. »Mir sagt sie, ich soll mit dem Hund rausgehen«, erklärte er voll Bitterkeit. »›Komm, Darling, mach einen kleinen Spaziergang mit ihm.‹ Ich sag ihr, sie soll das Jemima sagen. Ist doch ihr blöder Hund. Aber nein. Das bringt sie nicht über sich. Die arme kleine Jemima hockt in ihrem Zimmer und heult sich die Augen aus, weil sie von dieser Scheißinsel nicht weg will.«
»Weg von der Insel?«, fragte Deborah.
»Klar, wir ziehen weg. Der Makler sitzt bei uns zu Hause im Wohnzimmer und würde meiner Mutter am liebsten an die Titten gehen. Er redet von irgendwelchen Vereinbarungen ›zum beiderseitigen Nutzen‹, als ob er in Wirklichkeit nichts anderes im Sinn hat, als sie zu bumsen. Der Köter bellt ihn an, und Jemima ist total hysterisch, weil sie nicht nach Liverpool zu unserer Großmutter will, aber mir geht das echt am Arsch vorbei. Mir ist alles recht, wenn ich nur hier wegkomme. Also schlepp ich den blöden Köter hierher, aber ich bin leider nicht Jemima, und sie ist die Einzige, auf die er hört.«
»Warum zieht ihr von hier weg?« Deborah hörte regelrecht, wie es in Chinas Kopf arbeitete. Ihr selbst ging es nicht viel anders.
»Das ist doch sonnenklar«, antwortete Stephen. Aber bevor sie das Thema weiter vertiefen konnte, sagte er: »Was wollen Sie überhaupt?« und schaute hinüber zum Schilf, wo Biscuit still geworden war.
Deborah fragte ihn nach Moulin des Niaux. Ob er dort mal mit Mr. Brouard gewesen sei.
Ein Mal, ja. »Meine Mutter hat ein Riesending daraus gemacht, aber er hat mich nur mitgenommen, weil sie es unbedingt wollte.« Er lachte spöttisch. »Wir sollten uns nahe kommen. Die dumme Kuh. Als ob er je vorgehabt hätte... Es war total blöd. Ich, Guy, Frank, Franks Vater, der ungefähr zwei Millionen Jahre alt ist, und dazu der ganze Krempel. Haufenweise Kartons, Säcke, Schränke voll Zeug. Die reine Zeitverschwendung.«
»Was habt ihr dort getan?«
»Getan? Sie haben Mützen sortiert. Mützen, Kappen, Helme, was auch immer. Wer wann was, wo, wie und warum auf dem Kopf getragen hat. Es war unheimlich langweilig - echt, nichts als Zeitverschwendung. Nach einer Weile bin ich raus und bin spazieren gegangen.«
»Du hast also nicht beim Sortieren geholfen?«, fragte China.
Stephen schien einen Unterton in ihrer Stimme zu hören, denn er sagte: »Warum wollen Sie das wissen? Was tun Sie hier überhaupt? Müssten Sie nicht im Knast sein?«
Wieder griff Deborah ein. »War noch jemand dabei? An dem Tag, an dem du dir die Sammlung angesehen hast?«
»Nein. Nur Guy und ich.« Er konzentrierte sich wieder auf Deborah und das Thema, das ihn im Moment offenbar am meisten beschäftigte. »Wie gesagt, es sollte das große Vater-Sohn-Ereignis werden. Ich sollte ausflippen vor Freude drüber, dass er mal eine Viertelstunde lang Vater spielen wollte. Und er sollte merken, dass ich als Sohn viel besser geeignet wäre als Adrian, der ja ein erbärmlicher Trottel ist, während man von mir wenigstens erwarten kann, dass ich's schaffe, auf die Uni zu gehen, ohne durchzudrehen, weil Mami nicht da ist, um mir das Händchen zu halten. Es war alles so blöd, einfach hirnverbrannt blöd. Als hätte der je daran gedacht, sie zu heiraten.«
»Na ja, jetzt ist es ja vorbei«, sagte Deborah. »Jetzt kannst du nach England zurück.«
»Nur weil sie von Brouard nicht gekriegt hat, was sie wollte«, sagte er und warf einen verächtlichen Blick in Richtung zum Haus seiner Mutter. »Das war doch von vorneherein klar,
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