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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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mich war das eine Chance, Aufnahmen für eine Zeitschrift zu Hause zu machen. Das habe ich ihm erzählt, und er war einverstanden. Wir haben nichts -«
    »Leugnen Sie doch nicht!« Anaïs' Stimme wurde schrill. »Er hat sich von mir abgewandt. Er sagte, er könnte nicht, aber ich wusste, dass er nicht wollte. Und jetzt habe ich alles verloren. Alles!«
    Ihre Reaktion war so extrem, dass Deborah den Eindruck gewann, sie wären hier in einer anderen Dimension gelandet. Sie versuchte einzugreifen. »Wir müssen mit Stephen sprechen, Mrs. Abbott. Ist er da?«
    Anaïs trat zur Tür zurück. »Was wollen Sie von meinem Sohn?«
    »Er war zusammen mit Mr. Brouard bei Frank Ouseley, um sich dessen Sammlung für das Kriegsmuseum anzusehen. Darüber würden wir gern mit ihm sprechen.«
    »Warum?«
    Deborah dachte nicht daran, ihr mehr zu sagen, vor allem nicht etwas, was sie zu der Vermutung veranlassen könnte, ihr Sohn sei in irgendeiner Weise für die Ermordung Guy Brouards verantwortlich. Das würde sie wahrscheinlich vollends umwerfen. Auf dem schmalen Grat zwischen Wahrheit, Manipulation und Ausflucht wandernd, sagte Deborah: »Wir möchten gern wissen, was er damals alles gesehen hat.«
    »Warum?«
    »Ist er zu Hause, Mrs. Abbott?«
    »Stephen hat niemandem etwas getan. Wie kommen Sie dazu -« Anaïs Abbott stieß die Tür auf. »Verschwinden Sie von meinem Grundstück. Wenn Sie mit jemandem sprechen wollen, dann wenden Sie sich an meinen Anwalt. Stephen ist nicht hier. Und er wird auch nicht mit Ihnen reden.«
    Sie ging hinein und schlug die Tür zu, aber vorher warf sie noch einen Blick in die Richtung, aus der Deborah und China gekommen waren, und der verriet sie. Keinen Kilometer entfernt ragte auf einem kleinen Hügel ein Kirchturm in die Höhe.
    Deborah und China machten sich dorthin auf den Weg. Den Kirchturm als Orientierung benutzend, fuhren sie auf der Straße La Garenne wieder zurück. Wenig später gelangten sie zu einem von einer Mauer umgebenen Friedhof am Hang eines Hügels, auf dessen Kuppe die Kirche St. Michel de Vale stand. Der spitze Turm hatte eine Uhr mit blauem Zifferblatt ohne Minutenzeiger. Der Stundenzeiger stand auf der Sechs. In der Hoffnung, Stephen Abbott in der Kirche zu finden, gingen sie hinein.
    Aber drinnen war alles still. Glockenseile hingen reglos neben einem marmornen Taufbecken, und von einem bunten Fenster blickte der gekreuzigte Christus auf den Altar mit seiner Dekoration aus Ilex und Beeren herab. Im Kirchenschiff war niemand und auch nicht in der Kapelle der Erzengel seitlich vom Hauptaltar, in der ein ewiges Licht brannte.
    Sie gingen wieder auf den Friedhof hinaus. China sagte gerade: »Sie wollte uns wahrscheinlich verschaukeln. Ich wette, er ist zu Hause«, als Deborah auf der anderen Straßenseite einen Teich bemerkte. Von der Straße her war er, von Schilf geschützt, nicht zu sehen gewesen, aber von dieser Position vom Hügel aus konnten sie ihn, nicht weit entfernt von einem Haus mit rotem Dach, liegen sehen. Am Ufer stand eine Gestalt mit einem Hund an ihrer Seite und warf Stöcke ins Wasser. Noch während sie hinsahen, versetzte der Junge dem Tier einen Stoß.
    »Stephen Abbott«, sagte Deborah grimmig. »Amüsiert sich offensichtlich auf seine Weise.«
    »Reizendes Bürschchen«, meinte China, als sie zum Auto zurückgingen und dort die Straße überquerten.
    Er warf gerade wieder einen Stock ins Wasser, als sie aus dem dichten Gebüsch rund um den Teich traten. »Na los«, rief er dem Hund zu, der nicht weit weg saß und mit Trauermiene ins Wasser starrte. »Komm schon!«, schrie Stephen Abbott ihn an. »Kannst du eigentlich gar nichts?« Er warf noch einen Stock und noch einen, als wollte er dem Tier, dem Gehorsam und die eventuell damit verbundene Belohnung offensichtlich längst gleichgültig geworden waren, unbedingt seinen Willen aufzwingen.
    »Er möchte wahrscheinlich nicht nass werden«, sagte Deborah. Und dann: »Hallo, Stephen. Erinnerst du dich an mich?«
    Stephen warf ihr über die Schulter einen Blick zu. Dann bemerkte er China, und seine Augen weiteten sich kurz, ehe sein Gesicht sich verschloss und sein Blick hart wurde. »Dieser doofe Hund«, sagte er. »Genau wie diese doofe Insel. Wie überhaupt alles. Scheißdoof.«
    »Er schaut aus, als ob er friert«, sagte China. »Er zittert.«
    »Er hat Angst, dass ich ihn schlage. Und das tu ich auch, wenn er seinen Arsch nicht bald ins Wasser kriegt. Biscuit«, schrie er. »Los, mach schon. Spring rein und

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