12 - Wer die Wahrheit sucht
behauenem Granit und mit Keilsteinen versehenen Ecken - war im zwanzigsten Jahrhundert zum Hotel umgebaut worden, und in zwei Häusern des neunzehnten Jahrhunderts, die sich nicht durch irgendeinen besonderen Stein auszeichneten, waren jetzt Kleidergeschäfte untergebracht. Die gebogenen Glasfenster edwardianischer Ladenfassaden so nah bei der Stadtvilla erzählten noch von dem regen Handelsleben, das in diesem Viertel in den Tagen vor dem Zweiten Weltkrieg geblüht hatte, während hinter ihnen schon lange eine moderne Niederlassung eines Londoner Bankhauses ihren
Sitz hatte.
Die Bank, die Le Gallez und St. James suchten, lag am Ende von Le Pollet, unweit eines Taxistands, an dem vorbei man zu den Kais gelangte. Sie wurden auf dem Weg dorthin von Detective Sergeant Marsh von der Betrugsabteilung begleitet, einem noch jüngeren Mann mit altmodischen Koteletten, der zu Le Gallez sagte: »Bisschen wie mit Kanonen auf Spatzen schießen, finden Sie nicht, Sir?«
Le Gallez antwortete scharf: »Ich möchte diesen Leuten Grund geben, von Anfang an mit uns zu kooperieren, Dick. Das spart eine Menge Zeit.«
»Ich würde sagen, mit einem Anruf der Steuerfahndung hätten Sie das auch erreicht, Sir«, entgegnete Marsh.
»Ich gehe gern auf Nummer Sicher. Und ich halte an meinen Gewohnheiten fest. Bei der Steuerfahndung würden sie vielleicht ein bisschen ins Schwitzen kommen, das stimmt schon. Aber ein Besuch vom Betrugsdezernat...? Da werden sie mehr als Wasser schwitzen, mein Lieber.«
Detective Sergeant Marsh verdrehte lächelnd die Augen. »Ihr Burschen vom Morddezernat habt anscheinend nicht genug Unterhaltung.«
»Wir holen sie uns, wo wir sie kriegen, Dick.« Le Gallez zog die schwere Glastür der Bank auf und ließ St. James den Vortritt.
Der Direktor war ein Mann namens Robilliard, mit dem Le Gallez, wie sich herausstellte, gut bekannt war. Als sie sein Büro betraten, stand er auf und sagte: »Louis, wie geht es Ihnen?« und reichte Le Gallez die Hand. »Wir haben Sie beim Fußball vermisst«, fügte er hinzu. »Was macht der Fuß?«
»Alles wieder in Ordnung.«
»Na, dann sehen wir Sie hoffentlich am Wochenende auf dem Platz. Mir scheint, ein bisschen Bewegung würde Ihnen gut tun.«
»Die Frühstückscroissants. Die bringen mich noch um«, bekannte Le Gallez.
Robilliard lachte. »Nur die Dicken sterben jung.«
Le Gallez machte den Bankdirektor mit seinen Begleitern bekannt und erklärte: »Wir wollten uns mit Ihnen gern mal über Guy Brouard unterhalten.«
»Ah.«
»Er hat doch seine Bankgeschäfte bei Ihnen getätigt?«
»Ja. Seine Schwester auch. Stimmt etwas nicht mit seinen Konten?«
»Es sieht so aus, David. Tut mir Leid.« Le Gallez berichtete, was sie wussten: Vom Verkauf eines bedeutenden Wertpapierdepots, dem innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne eine Serie von Abhebungen von Brouards Konto gefolgt war. Infolge dieser Abhebungen, erklärte Le Gallez, sei das Konto ganz erheblich geschrumpft. Der Mann sei tot - wie Robilliard vermutlich wisse, wenn er in letzter Zeit die Zeitung gelesen habe -, und er sei ermordet worden... »Da müssen wir uns natürlich alles genau ansehen«, schloss Le Gallez.
Robilliard machte ein nachdenkliches Gesicht. »Natürlich, das verstehe ich«, sagte er. »Aber wenn Sie Bankunterlagen als Beweismittel verwenden wollen... dazu brauchen Sie eine Anordnung vom Bailiff, das wissen Sie.«
»Richtig«, bestätigte Le Gallez. »Aber im Augenblick geht es uns nur um eine Auskunft. Zum Beispiel, wohin dieses Geld gegangen ist und wie es dorthin gelangte.«
Robilliard ließ sich dieses Anliegen durch den Kopf gehen. Die anderen warteten. Le Gallez hatte St. James zuvor erklärt, dass ein Anruf von der Steuerfahndung ausreichen würde, um der Bank Informationen allgemeiner Art herauszukitzeln, dass er aber den persönlichen Kontakt vorzog. Das würde nicht nur mehr bringen, sondern die Sache auch beschleunigen, hatte er gesagt. Geldinstitute waren gesetzlich verpflichtet, der Steuerfahndung verdächtige Transaktionen offen zu legen, wenn diese das verlangte. Aber sie mussten nicht sofort springen, wenn sie nicht wollten. Sie verfügten über Dutzende von Möglichkeiten, die Auskünfte hinauszuzögern. Aus diesem Grund hatte er einen Vertreter des Betrugsdezernats in Gestalt von Detective Sergeant Marsh mitgenommen. Guy Brouard war schon ein paar Tage zu lange tot, sie hatten keine Zeit mehr, herumzusitzen und Däumchen zu drehen, während die Bank ihre
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