12 - Wer die Wahrheit sucht
seine Kinder sein sollten. »Er hat von ererbten Rechten nichts gehalten. Das war alles. Er hat sich alles, was er hatte, aus dem Nichts geschaffen, und er wollte, dass seine Kinder die gleiche Erfahrung machen. In ihrer ganzen Reichhaltigkeit. Mit dem Selbstvertrauen, das nur -«
»So ein Quatsch!«, fuhr Margaret dazwischen. »Das widerspricht doch allem, was. Und das weißt du auch, Ruth. Ganz genau weißt du das!« Sie hielt inne, als wollte sie sich beruhigen und Ordnung in ihre Gedanken bringen und als glaubte sie tatsächlich, es gäbe etwas, worauf sie ihre Argumente stützen und eine Beweisführung aufbauen könnte, um die Veränderung einer Sachlage zu erzwingen, die in Beton fixiert war. »Ruth«, sagte sie, sichtlich darum bemüht, ruhig zu bleiben, »wenn man sich im Leben etwas schafft, dann geht es doch gerade darum, den Kindern mehr zu hinterlassen, als man selbst hatte. Der Sinn der Sache ist doch nicht, sie in die gleiche Situation hineinzustoßen, aus der man sich selbst hochkämpfen musste. Warum sollte jemand nach einer besseren Zukunft streben, wenn er von vornherein weiß, dass es keinen Sinn hat.«
»Es hat Sinn. Man lernt dabei und wächst daran. Man muss mit Herausforderungen fertig werden. Guy war davon überzeugt, dass es den Charakter bildet, wenn man sich selbst sein Leben aufbaut. Er hat es getan, und es hat ihm geholfen, ein besserer Mensch zu werden. Das wollte er auch für seine Kinder erreichen. Er wollte sie nicht in eine Situation versetzen, in der sie keinen Finger hätten rühren müssen. Er wollte sie nicht der Versuchung aussetzen, ihr Leben zu vergeuden.«
»Aha. Aber das galt nicht für die anderen zwei. Die darf man ruhig der Versuchung aussetzen, weil sie es aus irgendeinem Grund leichter haben sollen. Ist es so?«
»JoAnnas Töchter sind nicht anders gestellt als Adrian.«
»Ich spreche nicht von Guys Töchtern. Als wusstest du das nicht«, sagte Margaret. »Ich spreche von den anderen beiden - Fielder und Moullin. In Anbetracht der Verhältnisse, in denen sie leben, hat er ihnen ein Vermögen hinterlassen. Allen beiden. Was hast du dazu zu sagen?«
»Das sind Sonderfälle. Das ist etwas anderes. Die beiden haben nicht die Vorteile -«
»Das stimmt. Aber sie grapschen jetzt nach ihnen, nicht wahr, Ruthie?« Margaret lachte und trat vor den offenen Schrank und klopfte auf einen Stapel Kaschmirpullover, die Guy lieber getragen hatte als Hemd und Schlips.
»Sie haben ihm besonders am Herz gelegen«, sagte Ruth. »Man könnte sie vielleicht als Pflege-Enkel bezeichnen. Er war ihnen eine Art kluger Lehrer, und sie waren -«
»Diebe«, sagte Margaret. »Aber das macht ja nichts. Sie sollen ihre Belohnung ruhig bekommen, auch wenn sie lange Finger machen.«
Ruth runzelte die Stirn. »Diebe? Wovon redest du?«
»Das kann ich dir sagen: Ich habe Guys Schützling - oder soll ich ihn weiterhin als seinen Enkel sehen, Ruth? - hier im Haus beim Stehlen ertappt. Gestern morgen. In der Küche.«
»Paul hatte wahrscheinlich Hunger. Valerie steckt ihm manchmal etwas zu. Er wird sich einen Keks genommen haben.«
»Ach ja? Und den hat er in seinem Rucksack versteckt und seinen Köter auf mich gehetzt, als ich sehen wollte, was er mitgehen lassen wollte? Lass ihn ruhig mit dem Familiensilber durchbrennen, Ruth. Oder mit einer von Guys hübschen kleinen Antiquitäten. Oder einem Schmuckstück. Oder was er eingesteckt hat. Er ist davongelaufen, als er uns sah - Adrian und mich -, und wenn du nicht glaubst, dass er etwas auf dem Kerbholz hat, dann frag ihn doch mal, warum er seinen Rucksack so schnell geschnappt und uns beide angegriffen hat, als wir ihm das Ding wegnehmen wollten.«
»Ich glaube dir nicht«, sagte Ruth. »Paul würde uns niemals bestehlen.«
»Ach nein? Vielleicht sollten wir die Polizei bitten, sich seinen Rucksack mal anzusehen.«
Margaret ging zum Nachttisch und hob den Telefonhörer ab. Herausfordernd hielt sie ihn ihrer Schwägerin hin. »Soll ich anrufen, oder erledigst du das, Ruth? Wenn der Junge unschuldig ist, hat er ja nichts zu fürchten.«
Guy Brouards Bank lag in Le Pollet, einer schmalen Verlängerung der High Street parallel zur unteren North Esplanade. Es war eine relativ kurze Straße, die meist im Schatten lag, mit Gebäuden auf beiden Seiten, deren Architektur einen Zeitraum von nahezu dreihundert Jahren umfasste. Die Gebäude erinnerten an die Wandelbarkeit der Städte: Eine prächtige Stadtvilla aus dem achtzehnten Jahrhundert - mit
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