12 - Wer die Wahrheit sucht
Bett hervorgeholt. Den ersten hatte sie bereits gepackt und war jetzt beim zweiten. Sie würde wirklich nach Hause fliegen und ihn seinem Schicksal überlassen. Sie würde ihm die Gelegenheit geben, die er offenbar so dringend haben wollte: die Gelegenheit, zu sehen, wie es ihm gefiel, allein mit dem Leben fertig werden zu müssen.
In der Auffahrt wurden rasch hintereinander zwei Autotüren zugeschlagen, und Margaret trat ans Fenster. Vor knapp fünf Minuten war der Streifenwagen weggefahren, und sie hatte gesehen, dass er diesen Fielder-Jungen nicht mitgenommen hatte. Sie hoffte, sie hätten doch noch einen Grund gefunden, diesen kleinen Gauner wegzusperren, und wären jetzt zurückgekommen, um ihn zu holen. Aber unten sah sie einen dunkelblauen Escort und zwei Leute, die über seine Motorhaube hinweg miteinander sprachen.
Die Person auf der Mitfahrerseite war ihr von dem Empfang nach Guys Bestattung bekannt: Es war der behinderte, asketisch wirkende Mann, den sie beim offenen Kamin hatte stehen sehen. Seine Begleiterin, die auf der Fahrerseite stand, war eine rothaarige Frau. Margaret hätte gern gewusst, was die beiden wollten.
Es dauerte nicht lang, da sah sie Adrian zu Fuß von der Bucht her die Auffahrt heraufkommen. Die beiden Neuankömmlinge blickten ihm entgegen, und Margaret schloss daraus, dass sie ihn schon auf der Straße gesehen hatten und nun auf ihn warteten.
Sie war sofort in höchster Alarmbereitschaft. Mochte sie auch eben beschlossen haben, ihren Sohn seinem Schicksal zu überlassen, aber wenn Fremde mit Adrian sprechen wollten, solange der Mord an seinem Vater noch ungeklärt war, so hieß das, dass Adrian in Gefahr war.
Margaret warf das Nachthemd, das sie gerade in den Koffer hatte legen wollen, aufs Bett und eilte aus ihrem Zimmer.
Aus Guys Arbeitszimmer hörte sie Ruths gedämpfte Stimme, als sie zur Treppe lief. Sie nahm sich vor, ihrer Exschwägerin später gründlich die Meinung darüber zu sagen, dass sie sie daran gehindert hatte, dem kleinen Dieb die Leviten zu lesen, als die Polizei ihn hergebracht hatte. Jetzt gab es Dringenderes zu tun.
Draußen sah sie, dass der Mann und seine rothaarige Begleiterin ihrem Sohn entgegengingen. »Hallo!«, rief sie laut. »Hallo! Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein? Ich bin Margaret Chamberlain.«
Sie sah den flüchtigen Schimmer der Verachtung in Adrians Gesicht und hätte ihn beinahe den beiden zum Fraß überlassen - er hatte es weiß Gott nicht anders verdient -, aber das brachte sie dann doch nicht über sich, ohne wenigstens zu erfahren, was die Fremden wollten.
Sie holte sie ein und nannte noch einmal ihren Namen. Der Mann stellte sich als Simon Allcourt-St.-James vor und die Rothaarige als seine Frau Deborah. Er sagte, sie wollten zu Adrian Brouard, und nickte dabei Margarets Sohn zu. Es war eine Geste, die sagte, ich kenne Sie, und die einer Flucht Adrians vorbeugte, sollte er an eine solche denken.
»Worum geht es denn?«, erkundigte sich Margaret jovial. »Ich bin übrigens Adrians Mutter.«
»Haben Sie ein paar Minuten Zeit?«, wandte sich dieser Allcourt-St.-James an Adrian, als hätte sie - Margaret - sich nicht klar und deutlich ausgedrückt.
Sie merkte, wie sie ärgerlich wurde, aber sie bemühte sich, den jovialen Ton beizubehalten. »Tut mir Leid. Wir haben im Moment überhaupt keine Zeit. Ich muss meinen Flug nach England erreichen, und da Adrian -«
»Kommen Sie rein«, sagte Adrian. »Wir können uns drinnen unterhalten.«
»Adrian, Darling!« Margaret sah ihrem Sohn lange und eindringlich in die Augen. Sei nicht so dumm, sagte der Blick. Wir haben doch keine Ahnung, wer diese Leute sind.
Ohne sie zu beachten, ging er den Fremden voraus zur Haustür. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu folgen, und um Einigkeit zu demonstrieren, sagte sie: »Nun gut. Ich denke, ein paar Minuten haben wir noch.«
Sie hätte diese Leute gezwungen, ihr Gespräch stehend in der steinernen Vorhalle zu führen, wo es eiskalt und ungemütlich war. Dann hätte der Besuch gewiss nicht lange gedauert. Adrian aber führte sie ins Wohnzimmer hinauf. Immerhin war er so klug, sie - Margaret - nicht zu bitten, ihn mit den Leuten allein zu lassen, und damit diese ihre Anwesenheit nicht vergaßen, nahm sie mitten auf dem Sofa Platz.
St. James - so bat er sie, ihn der Einfachheit halber zu nennen, als sie ihn mit seinem Doppelnamen ansprach - schien es nicht zu stören, dass sie Zeugin seines Gesprächs mit ihrem Sohn werden würde.
Ebenso
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