12 - Wer die Wahrheit sucht
an zu Hause, eine prima Lösung, weil Caroline ja wahrscheinlich die meiste Zeit in der Stadt sein wird. Ich habe meine alte Firma natürlich verärgert, als ich dort kündigte, aber früher oder später werde ich sicher bei einer anderen unterkommen, wenn ich nicht überall auf der schwarzen Liste stehe. Ja. Herrlich zu sehen, wie sich alles so entwickelt, nicht wahr?« Er nahm Frank die Anzeige aus der Hand und schob sie zusammengeknüllt unter das Telefonbuch.
»Es tut mir Leid«, sagte Frank. »Es ist sicher -«
»- das Beste«, sagte Debiere.
27
St. James fand Ruth Brouard im Wintergarten. Er war größer, als er ihn von seinem ersten Besuch am Tag der Beerdigung in Erinnerung hatte. Die Luft war feucht und warm, von den beschlagenen Fensterscheiben rannen Wasserbäche herab. Das Tropfen des Wassers von den Fenstern und aus einer Bewässerungsanlage auf die großen Blätter tropischer Pflanzen und den Terracottaweg, der sich zwischen ihnen hindurchwand, bildete ein leises Hintergrundgeräusch.
Ruth Brouard saß auf einem kleinen runden Platz in der Mitte des Glasbaus an einem Seerosenteich. Sie hatte es sich auf einer Chaiselongue bequem gemacht, die Füße auf einem Gobelinkissen, neben sich auf einem Korbtischchen ein Teetablett. Auf ihrem Schoß lag ein aufgeschlagenes Fotoalbum.
»Verzeihen Sie die Hitze hier«, sagte sie mit einer Kopfbewegung zu dem elektrischen Heizgerät, das auf dem Boden stand. »Sie tut mir gut. Sie ändert nichts am Lauf der Dinge, aber es fühlt sich so an.« Ihr Blick flog zu dem Gemälde, das er locker gerollt bei sich trug, aber sie sagte nichts. Vielmehr forderte sie ihn auf, sich einen weißen Korbstuhl heranzuziehen, weil sie ihm zeigen wollte, »wer wir waren«.
Das Album dokumentierte die englischen Jahre der beiden Geschwister Brouard. Die gesammelten Fotografien zeigten das Geschwisterpaar im London der Kriegs- und Nachkriegszeit, stets zusammen, stets mit ernstem Blick. Sie wurden älter, doch die ernsten Mienen blieben unverändert, während sie bald vor dieser Tür oder jenem Tor, bald in diesem Garten oder vor jenem offenen Kamin zu sehen waren.
»Er hat mich nie vergessen«, sagte Ruth beim Umblättern. »Wir waren nie bei derselben Familie, und ich hatte jedes Mal, wenn er ging, Angst, dass er nicht wiederkommen würde, dass ihm etwas zustoßen und man es mir nicht sagen würde. Dass er eines Tages einfach nicht mehr käme. Aber er erklärte mir immer, das könne nicht geschehen, und wenn, würde ich es merken. Ich würde es fühlen, sagte er. Ich würde fühlen, wie sich die Welt verschiebt, und solange ich das nicht fühlte, solle ich mir keine Sorgen machen.« Sie schlug das Album zu und legte es weg. »Aber ich habe es nicht gefühlt. Als er zur Bucht hinuntergegangen ist, Mr. St. James, da habe ich es nicht gefühlt.«
St. James gab ihr das Gemälde.
»Aber was für ein Glück, das Bild wiederzuhaben«, sagte sie leise, als sie es entgegennahm. »Es bringt mir ein Stück Familie zurück.« Sie legte es auf das Album und sah ihn an. »Was noch?«, fragte sie.
Er lächelte. »Sind Sie sicher, dass Sie keine Hexe sind, Miss Brouard?«
»Absolut«, antwortete sie. »Sie wollen doch noch etwas von mir, nicht wahr?«
Er bestätigte es. Ihren Worten entnahm er, dass sie von dem Wert des Gemäldes, das ihr Bruder für sie zurückgeholt hatte, keine Ahnung hatte. Und er unternahm in diesem Moment auch nichts, um sie zu belehren. Er hatte den Eindruck, dass sich für sie an der Bedeutung des Gemäldes nichts ändern würde, wenn sie hörte, dass es das Werk eines Meisters war.
»Sie können Recht haben mit Ihrer Vermutung, dass Ihr Bruder den größten Teil seines Geldes darauf verwendet hat, dem Bild auf die Spur zu kommen«, sagte er. »Aber ich würde mir doch sicherheitshalber gern einmal seine Abrechnungen ansehen. Er hat doch über seine Ausgaben und Einnahmen Buch geführt?«
Ja, sagte sie, das sei alles oben in seinem Arbeitszimmer. Sie würde es ihm gern zeigen, wenn er ihr folgen wolle. Sie nahmen das Gemälde und das Fotoalbum mit, aber es war ziemlich klar, dass Ruth Brouard ohne ihn beides in aller Unschuld bis zu ihrer Rückkehr im Wintergarten liegen gelassen hätte.
Nachdem sie im Arbeitszimmer, in dem es schon dunkel zu werden begann, mehrere Lampen eingeschaltet hatte, holte sie aus einem Schrank neben seinem Schreibtisch zu St. James' Überraschung ein altmodisches, in Leder gebundenes Rechnungsbuch. Sie sah St. James' Reaktion und
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