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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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geliefert, als wir den Fuß auf diese Insel setzten«, sagte sie. »Ich wollte, wir hätten einfach diese blöden Pläne abgeliefert und wären weitergereist. Aber nein, ich musste ja unbedingt eine Story über dieses Haus machen. Dabei hätte ich sie sowieso nicht verkaufen können. Es war einfach doof. Dumm. Typisch für mich. Und jetzt. Ich habe uns beide da reingeritten, Deborah. Er wäre weitergeflogen. Gern sogar. Er wollte Weiterreisen. Aber ich witterte die Chance, ein paar tolle Fotos zu schießen und eine Story daraus zu machen. Nur so auf Verdacht, was noch dümmer war. Denn wann hab ich schon mal etwas verkaufen können, das ich ohne Auftrag gemacht hab? Nie. Mein Gott! Was bin ich für eine Niete.«
    Das war zu viel. Deborah stand auf und ging zu der Freundin. Sie blieb hinter ihrem Stuhl stehen, legte ihre Arme um China und drückte ihre Wange auf ihren Scheitel und sagte: »Hör auf. Hör auf! Ich schwöre dir -«
    Ehe sie aussprechen konnte, flog hinter ihnen die Wohnungstür auf, und kalte Dezemberluft fegte ins Zimmer. Sie drehten sich beide herum, und Deborah lief los, um die Tür wieder zu schließen. Sie hielt inne, als sie sah, wer dort stand.
    »Cherokee!«, rief sie.
    Er sah völlig erledigt aus - unrasiert und zerknautscht -, aber er lachte. Er hob eine Hand, um ihre Ausrufe und Fragen abzuwehren, und verschwand für einen Moment noch einmal nach draußen.
    China stand langsam auf. Die Hand auf die Rückenlehne ihres Stuhls gestützt, blieb sie stehen.
    Cherokee kam wieder herein. Mit zwei Matchsäcken, die er zu Boden warf. Aus seiner Jacke zog er zwei dunkelblaue Büchlein mit goldenem Aufdruck. Das eine warf er seiner Schwester zu, das andere hielt er an den Mund und küsste es. »Unsere Fahrscheine«, sagte er. »Komm, Chine, machen wir uns vom Acker.«
    Sie starrte ihn sprachlos an und sah dann zu dem Reisepass in ihrer Hand hinunter. »Was...?«, sagte sie und rannte durchs Zimmer, um ihren Bruder zu umarmen. »Was ist passiert? Cherokee. Was ist passiert?«
    »Ich weiß es nicht, und ich hab auch nicht gefragt«, antwortete ihr Bruder. »Vor ungefähr zwanzig Minuten kam ein Bulle mit unseren Sachen in meine Zelle und sagte: ›Das wär's, Mr. River. Sehen Sie zu, dass Sie bis spätestens morgen früh die Insel verlassen haben.‹ So in der Art. Er hat mir sogar Tickets nach Rom angeboten. Falls wir den versäumten Urlaub nachholen wollten, sagte er. Mit dem Bedauern der Regierung von Guernsey über die Ungelegenheiten, die man uns bereitet hat.«
    » Ungelegenheiten? Verklagen sollten wir diese Mistkerle und -«
    »Brrr!«, sagte Cherokee. »Ich hab nicht das geringste Interesse dran, irgendwas anderes tun, als von hier zu verschwinden. Wenn heute Abend noch eine Maschine ginge, säße ich drin, das kannst du mir glauben. Es gibt nur eine Frage: Willst du nach Rom?«
    »Ich will nach Hause«, antwortete China.
    Cherokee nickte und küsste sie auf die Stirn. »Ich muss auch zugeben, dass mir meine alte Bretterhütte im Canyon noch nie so verlockend erschienen ist.«
    Deborah beobachtete diese Szene zwischen Bruder und Schwester, und ihr wurde leicht ums Herz. Sie wusste, wem Cherokee Rivers Freilassung zu verdanken war. Simon war ihr mehr als einmal in ihrem Leben zu Hilfe gekommen, niemals aber auf so angenehme Weise wie dieses Mal. Er hatte sich ihre Interpretation der Fakten tatsächlich zu Herzen genommen. Aber nicht nur das. Er hatte ihr endlich einmal zugehört.
    Ruth Brouard beendete ihre Meditation, sie fühlte sich innerlich so ruhig wie seit Monaten nicht mehr. Seit Guys Tod hatte sie sich die tägliche halbe Stunde stiller Kontemplation nicht mehr gegönnt, und die Folge war spürbar: Ihre Gedanken flatterten unaufhörlich von einem Thema zum anderen, ihr Körper war in einem ständigen Alarmzustand wegen der nächsten Schmerzattacke. Wenn sie nicht gerade in den Papieren ihres Bruders gegraben hatte, um herauszubekommen, wie und warum er sein Testament geändert hatte, war sie herumgelaufen, um mit Anwälten, Bankern und Finanzberatern zu sprechen. Und dazwischen war sie zum Arzt gerannt, weil sie gehofft hatte, durch eine Änderung der Medikation würde sie mit den Schmerzen besser fertig werden. Dabei hatten Antworten und Lösungen, die sie suchte, immer schon darin gelegen, einfach nach innen zu gehen.
    Diese Sitzung bewies, dass sie noch zu ruhiger anhaltender Kontemplation fähig war. Allein in ihrem Zimmer, nur eine brennende Kerze auf dem Tisch, hatte sie dagesessen

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