12 - Wer die Wahrheit sucht
da all die Jahre bei uns im Haus gehangen hatte«, und: »Wieso? Es war der Wunsch meines Vaters, und das genügt mir.« Schwester Monica Casey ihrerseits bekannte sich zu »heftigem Herzflattern« und erklärte, sie würden den de Hooch versteigern lassen, sobald das Gemälde ordentlich restauriert sei. Bis dahin, sagte sie zu dem Reporter, würden die Barmherzigen Schwestern das Werk an »einem sicheren Ort« aufbewahren.
Nicht sicher genug, dachte St. James. Und das hatte die Dinge ins Rollen gebracht.
Er klickte die nachfolgenden Berichte an und war wenig verwundert darüber, wie sich die Sache in Santa Ana, Kalifornien, weiterentwickelt hatte. Sehr bald war ihm klar, wie Pieter de Hoochs Heilige Barbara vom St. Clare's Hospital nach Le Reposoir gekommen war. Er druckte die relevanten Artikel aus, heftete sie zusammen und ging wieder nach oben in sein Zimmer.
Während Deborah Tee machte, griff China immer wieder zum Telefon. Manchmal tippte sie ein paar Zahlen ein, bevor sie wieder auflegte, manchmal kam sie gar nicht so weit. Auf dem Rückweg zu den Queen-Margaret-Apartments hatte sie endlich den Entschluss gefasst, ihre Mutter anzurufen. Sie müsse erfahren, was mit Cherokee los war, sagte sie. Aber jetzt, da der Moment der Wahrheit, wie sie es nannte, bevorstand, schaffte sie es nicht, dort anzurufen. Sie tippte die Nummer für die internationale Verbindung ein, sie tippte die Eins für die Vereinigten Staaten ein, und sie kam sogar bis zur Vorwahl von Orange, Kalifornien. Aber dann verließ sie jedes Mal der Mut.
Sie erklärte Deborah den Grund ihrer Unschlüssigkeit. Ihr Aberglaube steckte dahinter. »Ich habe Angst, dass es ihm Unglück bringt, wenn ich anrufe. Als wenn ich's beschreie.«
Deborah erinnerte sich, solchen Aberglauben schon früher bei ihr erlebt zu haben. Du brauchst dir nur einzubilden, du bestehst eine Prüfung mit Glanz und Gloria, und prompt fällst du durch, weil du es beschrien hast. Du brauchst nur zu sagen, du erwartest einen Anruf von deinem Freund, und er kommt nicht, weil du es beschrien hast. Du brauchst nur eine Bemerkung darüber zu machen, wie angenehm zu fahren es ausnahmsweise auf einem der ständig verstopften Highways Kaliforniens ist, und schon sitzt du in einem kilometerlangen Stau fest, weil vorn irgendwo ein Unfall war. Deborah hatte für diese verdrehte Denkweise den Ausdruck »Das Gesetz von Chinaland« erfunden und sich während ihres Zusammenlebens mit China in Kalifornien angewöhnt, nur ja nichts zu beschreien.
Sie sagte: »Wieso würdest du mit dem Anruf irgendwas beschreien?«
»Ich weiß auch nicht. Es kommt mir einfach so vor. Wenn ich sie anrufe und ihr sage, was los ist, dann kommt sie rüber, und alles wird noch viel schlimmer.«
»Aber das verstößt doch eigentlich gegen das Gesetz von Chinaland«, meinte Deborah. »Jedenfalls so, wie ich es in Erinnerung habe.« Sie setzte das Teewasser auf.
Als China den alten Ausdruck hörte, musste sie lächeln, wider Willen, wie es schien. »Wieso?«, fragte sie.
»Na ja, so wie ich es in Erinnerung habe, muss man doch genau das Gegenteil von dem vortäuschen, was man wirklich will. Man verrät dem Schicksal nicht, was man schön oder gut findet, damit es einem nicht dazwischen funken kann. Man schleicht sich sozusagen heimlich von hinten an das heran, was man will.«
»Man trickst das Schicksal aus«, murmelte China.
»Genau.« Deborah nahm zwei Becher aus dem Küchenschrank. »Mir scheint, in diesem besonderen Fall, musst du deine Mutter anrufen. Du hast gar keine Wahl. Wenn du sie anrufst und darauf besteht, dass sie nach Guernsey kommt -«
»Sie hat nicht mal einen Pass, Debs.«
»Umso besser. Dann wird's richtig schwierig für sie, hierher zu kommen.«
»Ganz zu schweigen von den Kosten.«
»Hm. Ja. Das garantiert praktisch den Erfolg.« Deborah lehnte sich an die Arbeitsplatte. »Sie muss sich schnell einen Pass besorgen. Das heißt, sie muss - wohin muss sie deshalb?«
»Nach Los Angeles zum Federal Building. In der Nähe vom San Diego Freeway.«
»Am Flughafen vorbei?«
»Weit daran vorbei. Sogar noch hinter Santa Monica.«
»Bestens. Riesenverkehr. Riesenumstände. Also, zuerst muss sie dorthin und sich einen Pass besorgen. Sie muss die Reise buchen. Sie muss nach London fliegen und von da weiter nach Guernsey. Und wenn sie nach der ganzen Mühe schweißgebadet vor Angst und Sorge hier ankommt -«
»- stellt sie fest, dass sich alles in Wohlgefallen aufgelöst hat.«
»Wahrscheinlich
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