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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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als wollte er entweder den Inhalt in Augenschein nehmen oder seinen Rücken der Peitsche darbieten.
    Frank vermutete, dass beides zutraf. Die Kartons gehörten zu den Dingen, die Paul Fielder mit Guy Brouard verbunden hatten und erinnerten ihn zweifellos gleichzeitig daran, dass Guy Brouard für immer von ihm gegangen war.
    Ganz gewiss war der Junge aufs Tiefste getroffen von Guys Tod, ganz gleich, ob er wusste, auf welch grausame Weise sein Gönner ums Leben gekommen war. Bei dem Leben, das ihm als einem von vielen Kindern vermutlich von seinen Eltern bereitet wurde, die zu wenig anderem als Trinken und Beischlafen taugten, war er unter der großherzigen Zuwendung Guy Brouards aufgeblüht. Frank hatte zwar bei den Gelegenheiten, wenn Paul Guy nach Moulin des Niaux begleitet hatte, nie Anzeichen dieses Aufblühens bemerkt, aber er hatte den schweigsamen Jungen auch vor Guys Eintritt in sein Leben nicht gekannt. Vielleicht war die nahezu stumme Wachsamkeit, durch die Paul sich auszeichnete, wenn sie zu dritt die in den Häusern gelagerten Stücke aus der Besatzungszeit durchsahen, bereits ein großartiger Schritt heraus aus einem früheren krankhaften Schweigen.
    Pauls magere Schultern zuckten, und sein Hals, an dem sich das feine Haar wie bei einem Renaissance-Engel ringelte, schien zu zart, seinen Kopf zu tragen, den er jetzt auf den obersten Karton des Stapels sinken ließ. Sein Körper bäumte sich. Er schluckte krampfhaft.
    Frank fühlte sich hilflos. Er trat an den Jungen heran und tätschelte ihm unbeholfen die Schulter. »Ist ja gut, ist ja gut«, sagte er und fragte sich, was er sagen würde, wenn der Junge darauf fragte: Was denn? Was denn? Aber Paul sagte gar nichts und verharrte in seiner Haltung. Taboo setzte sich ihm zu Füßen, wie um ihn zu bewachen.
    Frank hätte dem Jungen zum Trost gern gesagt, er trauere genauso sehr um Guy Brouard wie er, aber er wusste, dass wahrscheinlich auf der ganzen Insel niemand außer Guys Schwester ähnlich tiefen Schmerz empfand wie Paul. Er hätte ihm also nur entweder unzulängliche Worte des Trosts anbieten können oder die Möglichkeit, die Arbeit fortzuführen, die sie zusammen mit Guy begonnen hatten. Aber den Trost hätte er, darüber war er sich im Klaren, nicht glaubhaft übermitteln können, und die Arbeit wollte er nicht anbieten. Es blieb also nichts anderes, als den Jungen fortzuschicken.
    »Es tut mir Leid, dass du so traurig bist, Paul«, sagte er. »Aber müsstest du nicht in der Schule sein? Es sind doch noch keine Ferien, oder?«
    Paul hob den Kopf, um Frank anzusehen. Er wischte sich die Nase mit dem Handballen ab. Er sah so jammervoll und so hoffnungsvoll zugleich aus, dass Frank mit einem Schlag begriff, warum der Junge zu ihm gekommen war.
    Du lieber Gott, er suchte Ersatz, einen zweiten Guy Brouard, der sich um ihn kümmern, ihm einen Grund geben würde zu - ja, wozu? An seinen Träumen festzuhalten? Weiter nach ihrer Erfüllung zu streben? Was hatte Guy Brouard diesem armen Jungen versprochen? Sicherlich nichts, das zu erreichen Frank Ouseley, der nie eigene Kinder gehabt hatte und sich um seinen zweiundneunzigjährigen Vater kümmern musste, ihm hätte helfen können. Schon weil er selbst genug zu tragen hatte an der Last der von einer unbegreiflichen Realität jäh zunichte gemachten Erwartungen.
    Wie zur Bestätigung von Franks Verdacht schniefte Paul noch einmal und atmete dann wieder ruhig. Er wischte sich ein letztes Mal die Nase und schaute sich um, als würde er sich erst jetzt bewusst, wo er sich befand. Er biss sich auf die Unterlippe und zupfte mit beiden Händen am ausgefransten Saum seines Hemds. Dann ging er durch den Raum zu einem Stapel Kartons, die mit schwarzem Filzstift oben und an den Seiten mit dem Wort »Sortieren« beschriftet waren.
    Frank sank der Mut. Es war so, wie er gedacht hatte: Der Junge war hergekommen, um sich ihm anzuschließen und zum Zeichen dieses Zusammenhalts die Arbeit fortzuführen. So ging das nicht.
    Paul hob den obersten Karton vom Stapel und stellte ihn behutsam auf den Boden. Taboo gesellte sich zu ihm, als er neben dem Karton in die Hocke ging, und während der Hund sich in gewohnter Haltung niederließ, den zottigen Kopf auf den Pfoten, den treu ergebenen Blick auf seinen schweigsamen Herrn gerichtet, öffnete Paul bedachtsam, wie er es bei Guy und Frank wohl hundert Mal gesehen hatte, den Karton. Drinnen war ein Durcheinander von Kriegsorden, alten Gürtel schließen, Stiefeln, Uniformmützen der

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