12 - Wer die Wahrheit sucht
Leben nachleben wollte. Er hatte andere Träume. Doch die Tatsache, dass Mr. Guy - damals ein Flüchtlingskind aus Frankreich - mit Nichts angefangen und es auf seinem selbst gewählten Weg zu höchstem Erfolg gebracht hatte, bedeutete für Paul, dass er Gleiches erreichen konnte. Alles war möglich, wenn man nur bereit war, etwas dafür zu tun.
Und Paul war bereit, war es seit dem Tag, an dem er Mr. Guy zum ersten Mal begegnet war. Zwölf Jahre alt war er gewesen, ein magerer kleiner Junge in den Kleidern seines älteren Bruders, die bald an den nächstjüngeren Bruder weitergereicht würden, als er dem Herrn in Jeans die Hand gegeben und nichts Besseres zu sagen gewusst hatte als »So weiß!«, während er mit abgrundtiefer Bewunderung das blütenweiße T-Shirt angestarrt hatte, das Mr. Guy unter dem dunkelblauen Pulli mit dem V-Ausschnitt trug. Sofort hatte ihn eine so heiße Verlegenheit gepackt, dass er meinte, er müsste ohnmächtig werden. Wie kann man nur so blöd sein, hatten die Stimmen in seinem Kopf gekreischt. Du bist echt total bescheuert, Paulie.
Aber Mr. Guy hatte verstanden, was er meinte. Er hatte gesagt: Damit habe ich nichts zu tun. Das ist Valeries Werk. Sie macht die Wäsche. So eine wie sie gibt's kein zweites Mal. Eine echte Hausfrau. Leider nicht meine Frau. Sie ist mit Kevin verheiratet. Du wirst sie beide kennen lernen, wenn du nach Le Reposoir kommst. Das heißt, natürlich nur, wenn du willst. Was meinst du? Sollen wir es miteinander versuchen?«
Paul wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Seine Lehrerin hatte ihn sich zuvor vorgeknöpft und ihm das Projekt erklärt - Erwachsene aus der Gemeinde machten irgendwas mit Kindern -, aber er hatte nicht richtig hingehört, weil ihn die Goldfüllung in einem ihrer Zähne abgelenkt hatte. Sie war ziemlich weit vorn und glitzerte, wenn die Lehrerin sprach, in der elektrischen Beleuchtung des Klassenzimmers. Er versuchte zu sehen, ob sie noch mehr solche Füllungen hatte, und überlegte, wie viel ihr Gebiss wohl wert war.
Als daher Mr. Guy von Le Reposoir und Valerie und Kevin erzählte - auch von seiner kleinen Schwester Ruth, die Paul sich daraufhin prompt als kleines Mädchen vorstellte, bis die erste Begegnung mit ihr ihn eines Besseren belehrte -, nahm Paul das alles auf und nickte, denn er wusste, dass das von ihm erwartet wurde, und er tat stets, was man von ihm erwartete, weil alles andere ihn in Verwirrung und Panik gestürzt hätte. So hatte seine Freundschaft mit Mr. Guy begonnen.
Diese Freundschaft bestand hauptsächlich darin, dass sie zusammen auf Mr. Guys Grundstück herumwerkelten, weil es außer Fischen, Schwimmen und Wandern auf den Klippenwegen für zwei Männer nicht viel zu tun gab auf Guernsey. So wenigstens war es gewesen, bis sie das Museumsprojekt in Angriff genommen hatten.
Hastig verbannte er die Gedanken an das Museumsprojekt, die ihn an die schreckliche Szene mit Mr. Ouseley erinnerten, und marschierte, so schnell er konnte, zum Teich, wo er und Mr. Guy begonnen hatten, das Winterquartier für die Enten wiederaufzubauen.
Es waren nur noch drei Enten übrig: ein Männchen und zwei Weibchen. Die anderen waren tot. Paul war dazugekommen, wie Mr. Guy eines Morgens ihre zerfetzten und blutigen Kadaver begraben hatte, unschuldige Opfer eines räuberischen Hundes. Oder eines gemeinen Menschen. Mr. Guy hatte sie Paul nicht genau ansehen lassen. Er hatte gesagt: »Bleib, wo du bist, Paul, und halte Taboo fern.« Paul hatte zugesehen, wie Mr. Guy jeden der armen Vögel in ein eigenes Grab legte, das er selbst aushob, wobei er immer wieder sagte: »Ach, verdammt. So unnötig. Herrgott noch mal.«
Es waren zwölf Enten und sechzehn Küken, und jedes Tier bekam ein eigenes Grab, das mit Steinen umgrenzt und mit einem Kreuz versehen wurde, und der ganze Entenfriedhof wurde noch einmal eingezäunt. Wir ehren Gottes Geschöpfe, hatte Mr. Guy gesagt. Wir sollten nicht vergessen, dass auch wir zu ihnen gehören.
Taboo allerdings musste man das erst beibringen, und ihn zu lehren, Gottes Enten zu ehren, war ein schwieriges Unterfangen für Paul gewesen. Doch Mr. Guy hatte ihm versprochen, dass Geduld sich lohnen würde, und so war es auch gewesen. Taboo war jetzt sanft wie ein Lamm im Umgang mit den drei verbliebenen Enten und reagierte mit solcher Gleichgültigkeit auf sie, dass sie ebenso gut gar nicht hätten da sein können. Er lief sofort los zur Erforschung der Düfte im Schilf in der Nähe eines Stegs, der sich über
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