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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Wahrheit ans Licht zu bringen, damit die Worte Nie wieder! eine Bedeutung erhielten, die nicht dem Zahn der Zeit zum Opfer fallen würde, dann gab es einfach kein Zuviel.
    Ein Scheppern vor dem Haus zog Frank an das schmutzige Fenster. Draußen stieg gerade ein junger Bursche von einem alten Fahrrad und klappte den Ständer herunter. Er wurde von einem zottigen Hund begleitet, der immer an seiner Seite blieb.
    Es war Paul Fielder mit seinem Taboo.
    Frank überlegte stirnrunzelnd, was der Junge hier wollte, da er den langen Weg von Le Bouet heraufgeradelt war, wo er mit seinen Eltern und Geschwistern in einem der tristen Reihenhäuser wohnte, die die Gemeinde auf der Ostseite der Insel für diejenigen Bürger hatte errichten lassen, deren Einkommen mit ihrer Fortpflanzungsfreude nicht Schritt hielten. Paul Fielder war Guy Brouards besonderer Schützling gewesen und häufig mit ihm nach Moulin des Niaux gefahren, wo er inmitten der im Haus gelagerten Kartons zu hocken pflegte und mit den beiden Männern zusammen deren Inhalt erforschte. Aber allein war er noch nie gekommen, und Frank war nicht erfreut, ihn zu sehen.
    Paul zog den schmutzigen grünen Rucksack zurecht, der wie ein Buckel auf seinem Rücken saß, und steuerte das Wohnhaus an. Frank trat einen Schritt zur Seite, um nicht gesehen zu werden. Graham würde sich auf Pauls Klopfen hin nicht rühren. Morgens um diese Zeit war er in seine erste Seifenoper vertieft und unempfänglich für alles, was sich jenseits des Bildschirms abspielte. Und wenn Paul Fielder auf sein Klopfen keine Antwort erhielt, würde er wieder fahren. Darauf verließ sich Frank.
    Aber der Köter hatte anderes im Sinn. Während Paul zögernd den Weg zum hintersten Haus einschlug, sprang Taboo schnurstracks zu der Tür, hinter der Frank wie ein die Entdeckung fürchtender Einbrecher kauerte. Erst schnüffelte der Hund unten an der Türritze, dann bellte er, woraufhin Paul seinen Kurs änderte.
    Während Taboo winselnd an der Tür scharrte, klopfte Paul. Es war ein zaghaftes Klopfen, so aufreizend wie die ganze Art des Jungen.
    Frank legte die alten Nachrichtenblätter in den Hefter zurück und schob diesen in den Aktenschrank. Er stieß die Schublade zu, wischte sich die Hände an der Hose ab und zog die Haustür auf.
    »Paul!«, rief er in herzlichem Ton und blickte mit gespielter Überraschung über den Jungen hinweg zum Fahrrad. »Du meine Güte! Bist du den ganzen Weg geradelt?« Aus der Vogelperspektive war es nicht weit von Le Bouet zum Talbot Valley. Aus der Vogelperspektive war auf der Insel kein Ort sehr weit vom anderen entfernt. Aber auf den schmalen Serpentinenstraßen, die die einzigen Verbindungen zwischen den Ortschaften darstellten, war der Weg erheblich weiter. Frank war sicher, dass Paul die Strecke noch nie vorher geradelt war, und es erstaunte ihn fast ein wenig, dass der Junge überhaupt allein hergefunden hatte. Er war nicht gerade einer der Hellsten.
    Paul sah blinzelnd zu ihm auf. Er war klein für seine sechzehn Jahre, sehr mädchenhaft in seiner Erscheinung. Im elisabethanischen Zeitalter, als beim Theater Knaben gefragt waren, die als Frauen durchgehen konnten, hätte er die Bühne im Sturm erobert. Aber heutzutage sah das ganz anders aus. Schon bei der ersten Begegnung mit Paul hatte Frank sich vorgestellt, wie schwer der Junge es haben musste, vor allem in der Schule, wo er mit seiner zarten Aprikosenhaut, dem lockigen rotblonden Haar und den langen seidigen Wimpern für die Rabauken unter seinen Mitschülern wahrscheinlich ein willkommenes Opfer war.
    Bei Franks scheinheiligem Willkommen schossen Paul die Tränen in die ängstlichen grauen Augen. Hastig hob er den Arm und wischte sich mit dem abgetragenen Flanell seines Hemds über das Gesicht. Er hatte keine Jacke an, was bei diesem Wetter Wahnsinn war, und die dünnen Arme mit den knochigen Handgelenken ragten blass aus den zu kurzen Hemdsärmeln hervor. Er wollte etwas sagen, aber er brachte nur ein ersticktes Schluchzen zustande. Taboo ergriff die Gelegenheit, um ins Haus zu schlüpfen.
    Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Jungen hereinzubitten. Nachdem Frank das getan hatte, drückte er ihn auf den Stuhl mit dem geflochtenen Sitz hinunter und machte die Tür zu, um die Dezemberkälte nicht länger hereinzulassen. Aber als er sich herumdrehte, sah er, dass Paul aufgestanden war. Er hatte seinen Rucksack abgeworfen wie eine Last, die er loswerden wollte, und stand vorgebeugt über einem Stapel Kartons,

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