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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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wohnte -, tat er so, als hätte er keine Ahnung, worum es ging. Erst als Cherokee sagte, er solle Chinas Anwalt anrufen, gab er indirekt zu erkennen, dass die Frau, der man einen Mord zur Last legte, sich irgendwo im Gebäude befand. Er ging zum Telefon, tippte eine Nummer ein und sagte, als der andere Teilnehmer sich meldete: »Hier ist einer, der behauptet, er war Ihr Bruder...« Und mit einem Blick zu Deborah: »Er hat so eine Rothaarige dabei.« Nachdem er ungefähr fünf Sekunden zugehört hatte, sagte er: »In Ordnung«, und rückte endlich mit der Sprache heraus. Die Person, die sie suchten, sagte er, sei in Wohnung B im Ostflügel des Gebäudes.
    Es war nicht weit zu gehen. China erwartete sie an der Tür. Sie sagte nur: »Du bist gekommen!«, und eilte in Deborahs ausgebreitete Arme.
    Deborah drückte sie an sich. »Natürlich bin ich gekommen«, sagte sie. »Ich wollte nur, ich hätte vorher gewusst, dass du in Europa bist. Warum hast du mich nicht benachrichtigt, dass du kommst? Warum hast du nicht angerufen? Ach, es ist so schön, dich zu sehen.« Sie blinzelte gegen das Brennen in ihren Augen an, überrascht von diesem Ansturm der Gefühle, der ihr zeigte, wie sehr sie die Freundin in den Jahren, seit der Kontakt abgebrochen war, vermisst hatte.
    »Es tut mir Leid, dass es unter diesen Umständen sein muss.« China lächelte flüchtig. Sie war weit dünner, als Deborah sie in Erinnerung hatte, und das Gesicht unter dem modisch geschnittenen Haar sah aus wie das eines verlorenen Kindes. Ihre Baumund Tierschützermutter hätte einen Anfall bekommen beim Anblick ihrer Kleidung: schwarzes Leder von oben bis unten, Hose, Weste, Halbstiefel. Das Schwarz betonte die Blässe ihrer Haut.
    »Simon ist auch mitgekommen«, sagte Deborah. »Wir holen dich hier heraus. Mach dir keine Sorgen.«
    China warf einen Blick auf ihren Bruder, der die Tür hinter sich geschlossen hatte und in die kleine Kochnische gegangen war, wo er von einem Fuß auf den anderen trat und ein Gesicht machte, als wünschte er sich angesichts so viel weiblicher Gefühlsduselei auf einen anderen Stern. »Ich wollte doch nicht, dass du sie herbringst«, sagte sie. »Ich wollte nur, dass du dir bei ihnen Rat holst, wenn du welchen gebraucht hättest. Aber - ich bin froh, dass du sie mitgebracht hast, Cherokee. Danke.«
    Cherokee nickte. »Wollt ihr zwei -?«, begann er. »Ich meine, ich kann ja einen Spaziergang machen oder so was. Hast du Essen im Haus? Weißt du was, ich geh mal los und such einen Laden.« Und schon war er, ohne eine Antwort seiner Schwester abzuwarten, zur Wohnungstür hinaus.
    »Typisch Mann«, sagte China, als er weg war. »Nur keine Tränen.«
    »Dabei sind wir doch noch gar nicht so weit.«
    China kicherte, und Deborah wurde es ein wenig leichter ums Herz. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es war, in einem fremden Land des Mordes beschuldigt und festgehalten zu werden. Aber wenn sie etwas dazu tun konnte, ihre Freundin die bedrohliche Situation, in der sie sich befand, wenigstens ab und zu vergessen zu machen, so wollte sie das tun. Und sie wollte China Sicherheit geben, sie wissen lassen, wie nahe sie ihr immer noch stand.
    Darum sagte sie: »Ich habe dich vermisst. Ich hätte öfter schreiben sollen.«
    »Du hättest schreiben sollen, fertig«, erwiderte China. »Ich habe dich auch vermisst.« Sie zog Deborah zur Kochnische. »Ich mach uns Tee. Ich kann gar nicht glauben, wie unheimlich ich mich freue, dich zu sehen.«
    »Nein, den Tee mache ich, China«, sagte Deborah. »Du fängst jetzt nicht schon wieder an, mich zu bemuttern. Ich dreh den Spieß zur Abwechslung mal um, und du wirst dir das brav gefallen lassen.« Sie schob die Freundin zu dem Tisch unter dem Ostfenster, auf dem ein gelber Kanzleiblock und ein Kugelschreiber lagen. Das oberste Blatt des Blocks trug Daten in großer Druckschrift; die Bemerkungen darunter waren in Chinas vertrauter, geschwungener Handschrift geschrieben.
    China sagte: »Das war damals auch eine schlimme Zeit für dich. Es hat mir viel bedeutet, alles für dich zu tun, was ich konnte.«
    »Ich habe mich ziemlich erbärmlich benommen«, sagte Deborah. »Ich weiß nicht, wie du es mit mir ausgehalten hast.«
    »Du warst weit weg von zu Hause, hattest Riesenprobleme und hast versucht, irgendwie klarzukommen. Ich war deine Freundin. Ich musste dich nicht aushalten. Ich musste nur ein bisschen Anteil nehmen. Und das war, ehrlich gesagt, verdammt einfach.«
    Ein Gefühl der Wärme durchzog

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