12 - Wer die Wahrheit sucht
Wissenschaftler, stets in Gedanken, den Blick nach innen gerichtet, stets damit beschäftigt, zu bedenken, abzuwägen, zu prüfen, während andere Menschen einfach lebten - die Quelle seines Unbehagens in Bezug auf Cherokee River.
»Ja, an das Surfen erinnere ich mich«, hatte Deborah gesagt, und ihre Miene hatte sich schlagartig verändert, als ihr das gemeinsame Erlebnis wieder eingefallen war. »Wir sind damals alle drei zusammen am Meer gewesen... Weißt du noch? Wo war das eigentlich?«
Cherokee hatte ein nachdenkliches Gesicht gemacht, ehe er gesagt hatte: »Na klar! Das war in Seal Beach, Debs. Da geht's leichter als in Huntington. Es ist geschützter.«
»Richtig, ja! Seal Beach. Du hast mich in die Wellen rausgejagt und auf dem Brett herumturnen lassen, und ich habe dauernd gebrüllt, dass ich gleich den Pier ramme.«
»Der nirgendwo in deiner Nähe war«, sagte er. »Nie im Leben hättest du dich lange genug auf dem Brett gehalten, um irgendwas zu rammen.«
Sie lachten zusammen; wieder war eine Verbindung hergestellt, ein unbeschwerter Moment zwischen zwei Menschen, in dem sie freudig anerkannten, dass ein gemeinsames Band bestand, das die Gegenwart mit der Vergangenheit verknüpfte.
Und so, dachte St. James, ist das bei allen, die ein Stück gemeinsamer Geschichte haben. Ja, genau so ist es.
Er ging über die Straße auf das Polizeipräsidium von Guernsey zu. Es stand hinter einer imposanten Mauer aus einem mit Feldspat geäderten Stein, ein L-förmiger Bau mit vier Fensterreihen in beiden Flügeln, auf dem die Fahne von Guernsey flatterte. Drinnen nannte er dem Dienst habenden Wachbeamten seinen Namen und reichte ihm seine Karte. Ob es möglich wäre, fragte er, den leitenden Untersuchungsbeamten im Mordfall Brouard zu sprechen. Oder sonst vielleicht den Pressebeauftragten der Abteilung.
Der Wachtmeister inspizierte seine Karte mit einer Miene, die besagte, dass erst einmal diverse Anrufe über den Ärmelkanal hinweg getätigt würden, um festzustellen, wer genau dieser forensische Wissenschaftler war, der hier bei ihnen auf der Matte stand. St. James war das nur recht; wenn telefoniert wurde, dann mit New Scotland Yard und der Kronanwaltschaft oder mit der Universität, an der er dozierte, und das würde ihm den Weg ebnen.
Es dauerte zwanzig Minuten. St. James trat von einem Fuß auf den anderen und las ein halbes Dutzend mal die Anschläge am Schwarzen Brett. Aber es waren zwanzig Minuten, die sich lohnten, denn schließlich erschien Detective Chief Inspector Louis Le Gallez von der Kriminalpolizei und führte St. James in die Einsatzzentrale, ein riesiger Raum mit Stichbalken - eine ehemalige Kapelle -, den sich Fitnessgeräte mit Aktenschränken, Computertischen, Anschlagbrettern und Porzellantafeln teilten.
Chief Inspector Le Gallez wollte natürlich wissen, was einen forensischen Wissenschaftler aus London an einer Morduntersuchung in Guernsey interessierte, zumal diese bereits abgeschlossen war. »Wir haben die Täterin«, sagte er, die Arme vor der Brust verschränkt und ein Bein über eine Ecke des Tischs geschwungen. Er ließ sein Körpergewicht - das für einen so kleinwüchsigen Mann beträchtlich war - auf der Tischkante ruhen und strich mit St. James' Karte an seiner inneren Handkante auf und ab. Er schien eher neugierig als argwöhnisch.
St. James entschied sich für Offenheit. Der Bruder der Beschuldigten habe in seiner verständlichen Erschütterung über das Schicksal seiner Schwester ihn, St. James, um Hilfe gebeten, nachdem er vergeblich versucht habe, die amerikanische Botschaft zum Handeln anzuspornen.
»Die Amerikaner haben das Ihre getan«, erklärte Le Gallez. »Ich weiß nicht, was dieser Mann noch erwartet. Er war übrigens selbst auch verdächtig. Aber das waren sie alle. Jeder, der auf Brouards Fest gewesen war, am Abend, bevor er dran glauben musste. Die halbe Insel war dort. Das hat die Sache verdammt kompliziert gemacht, das können Sie mir glauben.«
Le Gallez sprach gleich weiter, als wäre ihm völlig klar, worauf St. James nach dieser Bemerkung über die Party das Gespräch würde lenken wollen. Sämtliche Leute, die am Abend vor dem Mord bei Brouard gewesen waren, seien vernommen worden, sagte er, aber es sei nichts dabei herausgekommen, was am ersten Verdacht der ermittelnden Beamten etwas geändert hatte: Wenn jemand sich wie die Geschwister River am Morgen des Mordes klammheimlich aus Brouards Haus gestohlen hatte, musste er genauer in Augenschein
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