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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Theorien.«
    Im Untersuchungsgefängnis erfuhren Deborah und Cherokee, dass sich in den vierundzwanzig Stunden, seit Cherokee nach London aufgebrochen war, um Hilfe zu holen, einiges getan hatte. Der Anwalt hatte es geschafft, China auf Kaution freizubekommen, und hatte ihr eine andere Unterkunft gesucht. Die Gefängnisverwaltung wusste selbstverständlich, wo sie sich aufhielt, aber man gab die Information nicht heraus.
    Deborah und Cherokee fuhren unverrichteter Dinge wieder in Richtung St. Peter Port und hielten bei der ersten Telefonzelle an, die sie an der Vale Road entdeckten, dort, wo die Straße sich dem weiten Blick auf die Belle-Greve-Bucht öffnete. Cherokee sprang aus dem Wagen, um den Anwalt anzurufen, und Deborah beobachtete durch die Glaswand der Zelle, wie er beim Sprechen in verständlicher Erregung mit der Faust gegen das Glas schlug. Obwohl sie sich nicht sonderlich gut aufs Lippenlesen verstand, konnte sie deutlich Cherokees aufgebrachtes »Hey, Mann, jetzt hören Sie mal zu« erkennen. Das Gespräch dauerte nur drei oder vier Minuten, nicht lange genug, um Cherokee in irgendeiner Hinsicht zu beruhigen, aber es genügte ihm, um herauszufinden, wohin seine Schwester gebracht worden war.
    »Er hat sie in irgendeine Wohnung in St. Peter Port verfrachtet«, berichtete er, als er wieder in den Wagen stieg und den Gang einlegte. »So eine Wohnung, die man im Sommer mieten kann. ›Ich habe sie gern aufgenommen‹ hat er gesagt. Was immer das heißen soll.«
    »Eine Ferienwohnung«, sagte Deborah. »Sie würde sonst bis zum Frühjahr leer stehen.«
    »Wie auch immer. Der Kerl hätte mir ja eine Nachricht zukommen lassen können. Schließlich geht's um meine Schwester. Ich hab ihn gefragt, warum er mir nichts davon gesagt hat, dass er sie rausholen wollte, und er sagte - weißt du, was er gesagt hat? - ›Miss River hat mich nicht beauftragt, jemandem ihren Aufenthaltsort bekannt zu geben.‹ Als wollte sie sich versteckt halten.«
    Zurück in St. Peter Port kostete es sie, obwohl sie die Adresse hatten, einige Mühe, die Ferienwohnanlage zu finden, wo China untergebracht war. Die Stadt war ein Gewirr von Einbahnstraßen: schmale Gassen, die sich vom Hafen aus den steilen Hang hochzogen, Wege durch eine Stadt, die schon existierte, lange bevor man an Autos überhaupt gedacht hatte. Deborah und Cherokee marschierten mehrmals an alten Stadtvillen georgianischen Stils und Zeilen viktorianischer Reihenhäuser entlang, ehe sie schließlich auf die Queen-Margaret-Apartments stießen, die an der Ecke Saumarez Street auf dem höchsten Punkt der Clifton Street standen. Sie boten dem Urlauber einen Blick, für den er im Frühling und Sommer teuer bezahlen musste: Unten breitete sich der Hafen aus, deutlich sichtbar erhob sich die Festung Castle Cornet auf ihrer Landzunge, wo sie einst die Stadt vor Eindringlingen geschützt hatte, und an einem Tag, der nicht durch tief hängende Dezemberwolken getrübt war, konnte man am fernen Horizont wie in der Luft schwebend die Küste Frankreichs erkennen.
    An diesem Tag jedoch, in der frühen Abenddämmerung, war der Ärmelkanal eine aschgraue Masse bewegter Landschaft. Lichter schienen auf einen Hafen, in dem die Vergnügungsboote fehlten, und in der Ferne wirkte die Festung wie eine Anhäufung kreuzweise schraffierter Kinderbauklötze, die planlos zusammengewürfelt auf einer Elternhand ruhten.
    In den Queen-Margaret-Apartments galt es erst einmal, jemanden zu finden, der ihnen den Weg zu Chinas Wohnung zeigen konnte. Sie stöberten schließlich in einem Ein-Zimmer-Apartment des leer stehenden Komplexes einen unrasierten und wenig appetitlich riechenden Menschen auf, der hier offenbar als Hausmeister fungierte, wenn er nicht gerade wie jetzt vor einem Brettspiel saß, bei dem man glänzende schwarze Steine in muldenartige Vertiefungen auf einem schmalen Holzbrett befördern musste.
    »Augenblick«, sagte er, als Cherokee und Deborah in sein Zimmer traten. »Ich muss nur schnell - verdammt! Er hat mich wieder erwischt.«
    Bei diesem »Er« schien es sich um seinen imaginären Gegner zu handeln, dessen Spielzüge er selbst machte, wozu er offenbar jedes Mal zur anderen Seite des Tischs hinüberlief. Mit einem Zug fegte er auf seiner Seite sämtliche Steine weg und sagte dann: »Was kann ich für Sie tun?«
    Als sie ihm erklärten, sie wollten zu seiner Mieterin - sie sagten »Mieterin« im Singular, weil offensichtlich war, dass zu dieser Jahreszeit kein Mensch sonst hier

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