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12 - Wer die Wahrheit sucht

12 - Wer die Wahrheit sucht

Titel: 12 - Wer die Wahrheit sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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werden. In England, so viel ich weiß. Sie sind aus London, vielleicht sind Sie also hergekommen, um mir etwas mitzuteilen. Obwohl ich denke, dass Mr. Le Gallez sich persönlich herbemüht hätte, um mich zu unterrichten, wenn man etwas entdeckt hätte. Etwas Unerwartetes.«
    »Mr. Le Gallez weiß, dass ich hier bin, aber er hat mich nicht geschickt«, sagte St. James. Dann erklärte er gewissenhaft, was ihn nach Guernsey geführt hatte, und schloss mit den Worten: »Miss Rivers Anwalt sagte mir, dass Sie die Zeugin sind, auf deren Aussage Chief Inspector Le Gallez seine Beweisführung stützt. Ich bin hergekommen, weil ich Ihnen zu dieser Aussage gern einige Fragen stellen würde.«
    Sie sah von ihm weg. »Miss River«, sagte sie.
    »Sie und ihr Bruder waren vor dem Mord einige Tage in Ihrem Haus zu Gast, wie ich hörte.«
    »Und sie hat Sie gebeten, ihr zu helfen, von der Schuld an dem, was geschehen ist, loszukommen?«
    »Ich habe sie noch nicht kennen gelernt«, sagte St. James. »Ich habe auch noch nicht mit ihr gesprochen.«
    »Und wieso sind Sie dann -«
    »Meine Frau und Miss River sind alte Freundinnen.«
    »Und Ihre Frau kann nicht glauben, dass ihre alte Freundin meinen Bruder ermordet hat.«
    »Es stellt sich die Frage nach dem Motiv«, entgegnete St. James. »Wie weit hatte sich die Bekanntschaft zwischen Miss River und Ihrem Bruder entwickelt? Ist es möglich, dass sie ihn bereits vor ihrem Besuch hier gekannt hat? Miss Rivers Bruder hat nichts Dergleichen gesagt, aber er weiß es vielleicht nicht. Wie ist es mit Ihnen?«
    »Wenn sie irgendwann früher einmal in England war, wäre es möglich. Sie könnte meinen Bruder dort kennen gelernt haben. Aber nur dort. Mein Bruder war nie in Amerika. Soweit ich weiß.«
    »Soweit Sie wissen?«
    »Theoretisch könnte er irgendwann einmal drüben gewesen sein, ohne mir etwas davon zu sagen, aber ich wüsste nicht, warum. Oder auch, wann. Wenn er drüben war, muss es lange her sein. Seit wir hier leben, in Guernsey, nein. Das hätte er mir gesagt. Wenn er in den letzten neun Jahren reiste, was selten vorkam, seit er sich vom Geschäft zurückgezogen hatte, ließ er mich stets wissen, wo er zu erreichen war. Da war er sehr zuverlässig. Er war überhaupt ein zuverlässiger und guter Mensch.«
    »Und hat niemandem Grund gegeben, ihn bis auf den Tod zu hassen? Außer China River, die aber auch keinen Grund gehabt zu haben scheint?«
    »Ich habe keine Erklärung dafür.«
    St. James trat vom Modell des Museumsbaus zurück und setzte sich Ruth Brouard gegenüber in einen zweiten Sessel. Auf einem kleinen runden Tisch, der zwischen ihnen stand, bemerkte er eine Fotografie und nahm sie zur Hand: Sie zeigte eine jüdische Großfamilie rund um einen Esstisch, die Männer mit Gebetskäppchen, ihre Frauen hinter ihnen stehend, mit aufgeschlagenen Büchern in den Händen. Zwei Kinder waren in der Gruppe, ein kleines Mädchen und ein Junge. Das Mädchen trug eine Brille, der Junge gestreifte Hosenträger. Am Kopf der Tafel stand ein ehrwürdiger alter Mann, im Begriff, die Matze, das ungesäuerte Passahbrot, zu brechen. Hinter ihm auf einer Kredenz mit einem silbernen Tafelaufsatz brannten Kerzen, deren Strahlen auf ein Gemälde an der Wand fielen, und neben ihm stand, das Gesicht ihm zugewandt und eine Hand auf seiner Schulter, eine Frau, die offensichtlich seine Ehefrau war.
    »Ihre Familie?«, sagte er zu Ruth Brouard.
    »Wir haben in Paris gelebt«, antwortete sie. »Vor Auschwitz.«
    »Das tut mir Leid.«
    »Es kann Ihnen gar nicht Leid genug tun.«
    St. James stimmte zu. »Ja, das glaube ich.«
    Seine Zustimmung schien Ruth Brouard eine gewisse Befriedigung zu verschaffen, wie vielleicht auch die Behutsamkeit, mit der er das Bild wieder auf seinen Platz stellte. Denn sie erklärte, den Blick auf das Modell in der Mitte des Raums gerichtet, ruhig und ohne Groll:
    »Ich kann Ihnen nur sagen, was ich an dem Morgen gesehen habe, Mr. St. James. Ich kann Ihnen nur sagen, was ich tat. Ich ging zu meinem Schlafzimmerfenster und sah meinen Bruder Guy aus dem Haus kommen. Als er die Bäume erreichte und auf die Auffahrt hinaustrat, folgte sie ihm. Ich habe sie gesehen.«
    »Sie sind sicher, dass es China River war?«
    »Zuerst war ich mir nicht sicher«, antwortete sie. »Kommen Sie. Ich zeige es Ihnen.«
    Sie ging ihm voraus durch einen Korridor, in dem alte Stiche des Herrenhauses hingen. Nicht weit von der Treppe entfernt öffnete sie eine Tür und führte ihn in einen Raum, der

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