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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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tatsächlich beängstigend schnell... Wird mich doch wohl nicht im Stich lassen, der gute Faroux?“
    Ich öffnete das Telegramm.
    Es gibt keine 120, rue de la Gare, stand drin.

Pont de la Boucle

    In jener Nacht ging ich nicht ins Hospital zurück. Nach einem hastig eingenommenen Abendessen bat ich Marc Covet um Asyl. Der Journalist begriff, daß Widerspruch zwecklos war, und erlaubte sich auch keinen. Nur während er mir eine seiner Decken gab, seufzte er tiefer, als es angebracht gewesen wäre.
    Ich kämpfte gerade mit meinem linken Schuh, hielt den gerissenen Schnürsenkel in der Hand, als an die Tür geklopft wurde. Die leiernde Stimme des Portiers teilte uns durch die Tür mit, daß Monsieur Covet am Telefon verlangt werde. Brummend ging Marc hinunter, um fast sofort wieder zurückzukommen. „Für Sie“, knurrte er. „Der Kerl hängt noch an der Strippe.“ Ich sah auf die Uhr. Mitternacht. Gérard Lafalaise hatte sich beeilt.
    „Hallo“, meldete ich mich.
    „Hallo! Monsieur Burma? ... Hier Lafalaise. Wir müssen uns sofort treffen. Hab was für Sie.“
    „Glückwunsch! Sie sind ja von der schnellen Truppe. Dann schießen Sie mal los.“
    „Nicht am Telefon. Das Beste ist, Sie kommen.“
    „Zu Ihnen in die Rue de la Tête-d’Or?“
    „Ja, in die Rue de la Tête-d’Or. Aber nicht zu mir. Ich telefoniere nicht von meinem Büro aus. Bin bei einem Freund...“ Der Detektiv kicherte. „Er würde gerne mit Ihnen über Filmstars plaudern...“
    „Na so was... Sehr schön. Wohin muß ich kommen?“
    Seine Erklärung war sehr kompliziert. Deshalb schlug er vor, daß ich jemanden auf dem Pont de la Boucle treffen solle, der mich dann zu ihm führen würde. Zur Sicherheit, fügte er hinzu. Ich war einverstanden.
    „Was halten Sie von einem kleinen Bummel durch den Park?“ fragte ich Covet. „Geben Sie mir mal einen Schnürsenkel.“
    „Einen Bummel? In dieser Jahreszeit? ... Hier, der Schnürsenkel.“
    „Danke... Vergessen Sie nicht: Am Schluß springt ein Sensationsartikel für Sie dabei raus!“
    „In welcher Beziehung steht der Bummel dazu?“
    „In engerer.“
    „Gut, dann hol ich mir eben den Tod. Werd mir aber warme Schuhe anziehen. Sonst krieg ich noch kalte Füße.“
    „Und ‘ne Mütze! So was wie meine. Die geht bis über die Ohren. Sehr praktisch. Sieht zwar nicht elegant aus, aber wir gehen ja auch nicht zu einem Rendezvous... auch wenn eine schöne Frau im Spiel ist...“
    „Es hat bestimmt keinen Zweck, Sie nach dem Ziel der Nachtwanderung zu fragen, oder?“
    „Überhaupt keinen“, sagte ich lachend.
    „Schweinekaff“, knurrte Marc, als wir draußen auf der Straße waren. „Wenn’s doch wenigstens Paris wär!“
    Er machte noch ein paar Bemerkungen über die Polizeistreifen, denen wir begegnen könnten. Ich antwortete nicht, und er schwieg. Bei dem dichten Nebel war es auch besser, den Mund zu halten.
    Kurz vor dem Pont de la Boucle ließ mich auch Covets Schnürsenkel im Stich. Ich behob den Schaden, so gut es ging. Dadurch gewann der Journalist ein paar Meter Vorsprung.
    Außer der heftig tosenden Rhône und dem Knallen von Marcs eisenbeschlagenen Schuhen auf der Brücke war die Stadt merkwürdig still. Alles schlief. Alles war ruhig. In der Ferne rollte ein Zug durch die Nacht. Plötzlich durchbrach ein Angstschrei die neblige Stille.
    Auf diesen Schrei hatte ich gewartet.
    Ich stieß ebenfalls einen Schrei aus und rannte los.
    Ungefähr in der Mitte der kunstvollen Brücke erblickte ich Marc Covet in dem gelblichen Schein eines schwachen Positionslichtes. Der Journalist kämpfte mit einem Mann, der ihn über die Brüstung schmeißen wollte. Als der Kerl mich sah, behielt er einen kühlen Kopf. Er verpaßte meinem Freund einen erstklassigen Haken und schickte ihn dadurch erst mal bis neun auf die Bretter. Dann stürzte er sich auf mich. Ich packte ihn. Wir rollten über das Pflaster. Mein Wintermantel behinderte mich, er jedoch trug nur einen Anzug. Plötzlich war er über mir. Ich versuchte, mich von ihm zu befreien. Wir kamen wieder auf die Beine. Wie zwei tragikomische Tänzer hielten wir uns umfangen. Offensichtlich hatte dieser Stadtindianer mir jetzt das Schicksal zugedacht, das meinem Freund erspart geblieben war. Ich mußte eine Entscheidung herbeiführen, nahm alle meine Kräfte zusammen. Es gelang mir ein traumhafter Schlag. Der Ganove ließ mich los und knallte gegen die regenglänzende Brüstung. Ich rammte ihm mein Knie in den Magen und richtete ihn mit einem

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