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120, rue de la Gare

120, rue de la Gare

Titel: 120, rue de la Gare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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jemand, der gerade aus dem Schlaf gerissen worden ist. Fragend reichte er mir seine glitzernde Hand. Er schlief anscheinend wohl mit den tollen Ringen an den Händen.
    „Was verschafft mir das Vergnügen Ihres morgendlichen Besuchs? ... Frühmorgendlich“, fügte er vorwurfsvoll hinzu und schielte zur Standuhr.
    „Entschuldigen Sie, daß ich Sie aus dem Bett geworfen habe“, erwiderte ich. „Aber ich brauche Ihren Rat. In einer halben Stunde hab ich eine Unterredung mit Kommissar Bernier. Ich muß ihm gestehen, daß ich heute nacht einen Mann in die Rhône geschubst habe.“
    Vor Schreck ließ der Anwalt seine Zigarette fallen, die er sich gleich nach dem Aufstehen angezündet hatte.
    „Bei einem Nestor Burma wundert mich nichts“, sagte er dann. „Aber trotzdem... Was ist das nun wieder für eine Geschichte?“ Ich erzählte ihm, daß ich einen Detektiv damit beauftragt hätte, Colomers Vergangenheit in Lyon zu erkunden. Soweit das möglich sei, natürlich. Daß dieser Blödmann überall damit hausieren gegangen sei, bis die Geschichte einem Komplizen von Colomers Mörder... oder dem Mörder selbst... zu Ohren gekommen sei. Daß dieser mich in eine Falle gelockt habe. Daß ich mich aber — schließlich sei ich ja nicht so hinfällig, wie ich aussähe — von dem Gangster hätte befreien können und er an meiner Stelle in den Fluß gefallen sei.
    „Wunderbar!“ Der Anwalt lächelte schwach. „Ein besseres Frühstück kann man sich gar nicht wünschen. Aber Scherz beiseite... Zunächst einmal Glückwunsch, daß Sie dem Attentat entgangen sind. Und dann: Womit kann ich Ihnen nützlich sein?“
    „Mit ein paar Tips aus Ihrem Fachgebiet. Ich frage mich, wie der Kommissar diese Geschichte aufnehmen wird. Sicher, er kennt mich, aber nur vom Hörensagen... Und der Ruf eines Pri-vatflics... Ich weiß nicht...“
    „Tja, allerdings. Aber warum wollen Sie Bernier unbedingt informieren?“
    „Das läßt sich nicht vermeiden. Sehen Sie, der Mord an Bob und der Überfall auf mich stehen miteinander in Verbindung. Außerdem will ich, daß mein Assistent gerächt wird.“
    „Wenn der Mörder und der Mann von heute nacht ein und dieselbe Person ist, gibt’s nichts mehr zu tun. Die Fische werden das Urteil vollstrecken... bevor es gesprochen ist.“
    „Kann schon sein, aber mein Entschluß ist gefaßt. Sollte sich der Beamte irgend etwas in den Kopf setzen, sollte er in puncto Notwehr Zweifel haben, mit anderen Worten, sollte ich Schwierigkeiten bekommen, dann könnten Sie das doch geradebiegen, ja?“
    „Aber selbstverständlich.“
    Er zündete sich wieder eine Zigarette an, und wir legten uns einen Schlachtplan zurecht. Ich hoffte, ihn nicht zu brauchen.
    „Soll ich Sie zu den Herren Polizisten begleiten?“ fragte Maître Montbrison.
    „Sind Sie verrückt? Was würden die Flics denken, wenn sie mich gleich mit einem Verteidiger aufkreuzen sähen? Die würden mir doch sofort Handschellen anlegen.“
    Er lachte und bestand nicht weiter auf seinem Vorschlag. Ich versprach, ihn auf dem laufenden zu halten, und verabschiedete mich. Da ich noch etwas Zeit hatte, schrieb ich im Postamt nebenan drei Interzonenkarten. Dann kaufte ich mir ein Stück Brot, setzte mich in ein Bistro und trank einen Kaffee mit viel Sacharin. In einem Tabakladen erstand ich ein Päckchen Tabak und stopfte mir eine Pfeife. Gut vorbereitet trat ich den Weg zum Justizpalast an. Kommissar Bernier war überrascht, mich so früh in seinem Büro zu sehen.
    „Sind die Mörder hinter Ihnen her, Burma? ... Großer Gott, woher haben Sie diese Kaninchenaugen?“
    Er selbst hatte Ringe unter den Augen. Ich enthielt mich aber höflicherweise jeder Bemerkung.
    „Hab mit meiner Krankenschwester die Nacht durchgefeiert“, antwortete ich auf seine Frage. „Wenn Sie die sehen würden... Aber besser rote Kaninchenaugen als tote Fischaugen.“
    „Oh, gewiß! Ist das alles, was Sie mir sagen wollten?“
    „Ja. Hab die ganze Nacht an diesem Gag gearbeitet. Zum Totlachen, was?“
    „Zum Totlachen? Sie meinen sicher lustig. Sehr lustig, ja. Aber abgesehen davon, sehen sie so mitteilungsbedürftig aus wie ‘ne Elster. Schießen Sie los!“
    „Also, ich bin heute nacht über den Pont de la Boucle spaziert, da fällt mich ein Kerl an. Hat offensichtlich vor, mich in den Fluß zu werfen. Er war sehr kräftig, aber trotz der Gefangenschaft war ich noch kräftiger als er. Nach einer kurzen, aber heftigen Auseinandersetzung ist er dann in der Rhône gelandet.

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