120, rue de la Gare
Jetzt trainiert er für den Weihnachtscup.“
Berniers Gesichtsfarbe spielte ins Violette. Er öffnete den Mund, schloß die Faust und ließ alles tanzen, was auf seinem Schreibtisch stand. Jeder Schlag auf die Platte wurde von einem Fluch begleitet. Einen ganzen Rosenkranz betete der Kommissar runter. Als er sich wieder beruhigt hatte, fuhr ich mit dem Märchenerzählen fort.
Schweigend hörte er zu, wobei er zwei- oder dreimal die Gesichtsfarbe wechselte. An keinem meiner Worte zweifelte er. Es lief besser, als ich gedacht hatte.
„Das wird Sie davon kurieren, sich an Privatdetektive zu wenden“, spottete er. „Das sind alles...“
Er verstummte.
„Vergessen Sie nicht, daß ich auch einer bin“, sagte ich leise. „Ja, ja. Ist mir auch sofort wieder eingefallen.“
Dann wollte er Einzelheiten wissen. Ich lieferte ihm einige, andere ließ ich unter den Tisch fallen. Der Kommissar mußte nicht unbedingt über den Liebeskummer von Mademoiselle Brel Bescheid wissen. Auch unser nächtlicher Hausbesuch bei Paul Carhaix ging ihn nichts an.
„Und der Detektiv?“ fragte er stirnrunzelnd, „kann man ihm vertrauen? Oder hat er das Ganze selbst ausgeheckt?“
„Hab ihn eben noch gesehen. Monsieur Lafalaise machte nicht den Eindruck, gerade aus der Rhône gestiegen zu sein.“
„Das wollte ich auch nicht damit sagen. Aber er könnte der geistige Täter sein.“
„Völlig unwahrscheinlich, Kommissar“, sagte ich entschieden. „Lafalaise ist ganz einfach ein geschwätziger Naivling. Stolz darauf, mich zu seinen Klienten zählen zu können, hat er seine Verpflichtung zur Diskretion vergessen.“
„Tja... Man darf aber nichts außer acht lassen. Ich werde den Vogel im Auge behalten.“
Er nahm den Telefonhörer ab und bellte seine Anweisungen in die Muschel. Befehlsempfänger waren die Wasserschutzpolizei und die Leute, die in den Hotels rumschnüffeln. Als der Kommissar vom Telefon abließ, glänzte sein Gesicht von Schweiß.
„Heute abend, spätestens morgen früh haben wir den Mann“, versicherte er. „Wir werden den ganzen Fluß absuchen, wenn nötig. Ich will mir diesen Kerl von nahem ansehen. Weit kann er nicht gekommen sein. Wir werden ihn schnappen... werden seine Adresse rauskriegen und bei ihm alles durchsuchen... Pech für ihn, daß er gerade an Sie geraten ist! Offensichtlich hatte er... er oder sein Drahtzieher... Angst vor Ihren Entdeckungen. Na ja, das ist so wie bei fast allen anderen Fällen... Ein paar Tage tappt man im dunkeln, aber plötzlich macht der Täter einen Fehler, und der Fall ist im Nu gelöst.“
Er hätte noch Gift darauf genommen, wenn ich ihn nicht gebremst hätte.
„Was sagt die Autopsie?“ fragte ich.
„Hahaha!“ lachte er. „Warten Sie doch erst mal, bis wir den Mann aus der Rhône gefischt haben!“
„Ich spreche von Colomer.“
Bernier wurde wieder ernst.
„Hab ich Ihnen den Bericht noch nicht zu lesen gegeben? Hab ihn nämlich nicht mehr hier... Nichts Besonderes stand drin. Automatische Pistole, Kaliber 32. Ihr Assistent hatte fünf Kugeln im Rücken. Wußten Sie das? Übrigens...“
„Ja.“
„Übrigens“, wiederholte Bernier. „War der Mann, der Sie auf der Brücke überfallen hat, Franzose?“
„Und fuhr seine Oma Fahrrad? Entschuldigen Sie, Kommissar, aber ich hab ihn nicht danach gefragt.“
„Sie hätten’s ja auch so bemerken können. Normalerweise wird bei einer Schlägerei auch rumgebrüllt. Kein Akzent?“
„Kein Wort, kein Akzent. Warum?“
„Nur so. Diese Ausländer...“
Er setzte zu einer ausländerfeindlichen Tirade an. Ich unterbrach sein Geschwätz mit der Frage:
„Wissen Sie inzwischen, woher die neuntausend Francs kamen, die Colomer mit sich herumtrug?“
„Nein, keine Ahnung. Auch Maître Montbrison konnte uns darüber keine Auskunft geben. Die Höhe der Summe läßt Ihnen keine Ruhe, was?“
„Bob konnte nicht soviel zusammensparen... selbst wenn er’s gewollt hätte.“
„Mein lieber Monsieur Burma“, sagte der Kommissar väterlich, „wir leben in einer seltsamen Zeit. Ich kenne in Lyon arme Schlucker, die jetzt Champagner schlürfen... Bildlich gesprochen.“
„Und das Erfolgsrezept der reichen Schlucker?“
„Schwarzmarkt. Was sagen Sie dazu?“
„Nichts.“
Ich stand auf, gab meine Telefonnummer an für den Fall, daß es etwas Neues geben würde, und versprach dem Kommissar, einen der folgenden Abende für ein Pokerspiel zu reservieren, ein Spiel, das ihn leidenschaftlich zu interessieren
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