120, rue de la Gare
ich zurückgekommen war, verschwand ich auch wieder. Eine fahle Sonne hatte den Nebel der letzten Tage durchbrochen.
Ich ging zum Fluß. Schaulustige sahen der Wasserschutzpolizei beim Durchsuchen der Rhône zu. Aber die Bemühungen der Taucher waren bisher noch nicht von Erfolg gekrönt worden. Auf einem kleinen Boot erkannte ich einen Regenmantel und einen eisengrauen Schlapphut. Der dazugehörige Mann mit rotem Gesicht gab von Zeit zu Zeit Anweisungen. Er sah wütend aus. Ich überlegte mir einen Moment, wie ich mich am besten verhalten sollte. Dann ging ich ans Ufer. Gerade wollte ich mich dem Kommissar bemerkbar machen, als ich einen Uniformierten in einem Kahn auf das „Kommandoschiff“ zurudern sah. Von der kurzen Unterhaltung zwischen ihm und Bernier verstand ich kein Wort. Die beiden Boote verließen die Flußmitte und legten ein paar Schritte von mir entfernt am Ufer an.
„Ach! Da sind Sie ja“, rief Bernier, als er mich erkannte. „Sie kommen grade richtig! Hab soeben erfahren, daß der Enterhaken einen Kerl ohne Mantel erwischt hat. Wird sich wohl um Ihren Mann von gestern nacht handeln. Kommen Sie mit, zum Identifizieren.“
Er gab seinen Untergebenen noch ein paar Anweisungen und ließ die ganze Truppe wieder abziehen. Wir stiegen in seinen Dienstwagen. Hinter uns fuhr der Wagen vom Erkennungsdienst mit dem Fotografen und dem Gerichtsmediziner. Unterwegs erzählte mir Kommissar Bernier, er habe inzwischen die These aufgegeben, nach der Colomer selbst Schwarzhändler gewesen und dann das Opfer eines Racheaktes seiner Konkurrenten geworden sei.
„Wie sind Sie eigentlich auf die Schwarzmarktthese gekommen?“ fragte ich ihn.
„Die neuntausend Francs, die wir bei Ihrem Mitarbeiter gefunden haben. Zumal Sie erwähnten, er habe von der Hand in den Mund gelebt. Aber vor kaum ein paar Stunden haben wir eine Erklärung für die Summe erhalten. Nachdem Sie heute morgen gegangen waren, hat sich ein Mann hier aus Lyon bei uns gemeldet. Vor einigen Monaten hatte er Colomer mit einer heiklen Angelegenheit betraut, die dieser glänzend gelöst hat. Das Geld stammte von dem Honorar. Ihr Mitarbeiter hatte sehr viel gefordert, weil er eine Agentur gründen wollte... Wir sind da.“ In dem Gebäude wurden wir von dem Stummen erwartet, der Kommissar Bernier ins Hospital begleitet hatte. Inzwischen hatte er seine Sprache wiedergefunden.
„Wenn Sie mir bitte folgen wollen“, sagte er.
Der Tote, ein junger Mann mit guter Figur, lag auf einem Tannenholzbrett. Er trug einen tadellos sitzenden Anzug, soweit man das nach dem Wasserbad sagen konnte. Die Haare klebten ihm an der Stirn. Ansonsten sah er aus wie alle Ertrunkenen.
Die Leute vom Erkennungsdienst fotografierten die Leiche von allen Seiten und nahmen ihr die Fingerabdrücke ab. Der Arzt konnte mit seiner Untersuchung beginnen.
„Erkennen Sie in dem Toten den Mann, der Sie auf der Brücke überfallen hat?“ fragte mich der Kommissar.
„Er hat sich seit gestern nacht etwas verändert“, antwortete ich, „aber das ist er zweifellos.“
„Hatten Sie ihn vorher schon einmal gesehen?“
„Nein, nicht bevor er sich für mich interessiert hat.“
Der Fotograf packte seine Siebensachen zusammen und räumte das Feld für den Gerichtsarzt. Schweigend sahen wir dem Doktor bei seiner Arbeit zu. Im Mundwinkel des Kommissars hing eine Kippe. Ich rauchte eine Pfeife nach der andern. Endlich richtete sich der Arzt auf. Todesursache, Aufenthaltsdauer im Wasser usw. Er verriet uns nichts Sensationelles.
„Eine blutunterlaufende Stelle am Kinn“, fügte er hinzu. „Offensichtlich ein klassischer K. o.-Schlag.“
„Bestimmt Ihr Werk?“ fragte mich Bernier.
„Ganz bestimmt.“
Der Arzt musterte mich, sagte aber nichts. Er schnürte sein Bündel und verschwand.
„Durchsuchen“, ordnete der Kommissar an.
Einer seiner Männer näherte sich angeekelt der Leiche. Kaum berührte er die Kleider, schimpfte er leise vor sich hin. Verdammt kalt, bemerkte er. Kein Wunder! Nacheinander leerte er die Taschen des Toten: eine angebrochene Schachtel Zigaretten, ein Taschentuch, ein Paar Handschuhe, eine Brieftasche, ein Portemonnaie, ein Bleistift, ein Füllfederhalter, eine Armbanduhr, ein Feuerzeug, ein Röhrchen mit Feuersteinen und ein Schlüsselbund. Alles, bis auf die Metallteile, in einem ziemlich traurigen Zustand.
Bernier nahm die Brieftasche und klappte sie auf. Sie enthielt einen Wehrpaß auf den Namen Paul Carhaix, Werbeprospekte eines Facharztes, eine
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